Tom Saalfeld

Rauhforst

Ein aufdringliches Piepen riß mich aus meinem Halbschlaf. Ich war vor den Schirmen eingenickt. Das kam öfter vor in letzter Zeit. Kein Wunder, wenn man rund um die Uhr allein Wache schieben mußte, seit fast zwanzig Jahren schon, und selbst fast sechzig war.
Aber es half nichts. Die Massedetektoren hatten einen größeren, sich bewegenden Gegenstand erfasst und ich mußte schnellstens reagieren. Vor dem oder den Eindringlingen lagen nur etwa sechzehn Kilometer Luftlinie bis zum Bunker, meinem Befehlsstand. Für eine austrainierte Truppe nicht mehr als zweieinhalb Stunden zu Fuß. Dass die potentiellen Invasoren über Motorfahrzeuge verfügten, war eher unwahrscheinlich.
Der Halbmond hatte mit seinem biochemischen Überraschungsschlag vor dreißig Jahren Nägel mit Köpfen gemacht und fast die komplette nördliche Hemisphäre in die Steinzeit zurückbefördert. Wer den neuen Anthraxstämmen nicht zum Opfer gefallen war, krepierte erbärmlich vor Hunger und Durst, weil Trinkwasser und Boden mit äußerst garstigen Viren und Bakterien verseucht waren. Nachhaltigst, denn auch mir war es erst vor wenigen Jahren gelungen, dem meinen Wald durchquerenden Pestbach durch Schilffilterung brauchbares Trinkwasser abzuringen.
Etwas Gutes hatte die ganze Misere allerdings auch nach sich gezogen. Ich war im Umkreis von hunderten, wenn nicht tausenden Kilometern das einzige Vieh auf zwei Beinen und hatte meistens meine Ruhe. Warum ich überlebt hatte? Bei dem Bunker handelte es sich um das inmitten eines Freiversuchsgeländes des forstbiologischen Instituts Zalkheim gelegene unterirdische Labor. Als die ersten Raketen einschlugen, saß ich zehn Meter unter der Erde und war durch mehrere Spezialfilter bestens geschützt. Viel besser als die Militärs und Politiker, die sich immer noch unter riesigen Bergmassiven vor Nuklearschlägen sicher wähnten und dabei die Mikroben vergaßen.
Allerdings schienen auch meine Gene besonders resistent zu sein. Ich hatte es also im Gegensatz zum Rest geschafft und war nicht gewillt, mir meinen mühsam aufgepäppelten Forst durch Marodeure und Plünderer zerstören zu lassen.
Ich schaltete das Kurzwellengerät ein und versuchte, einen meiner Gehilfen zu erreichen. Bei den vier Gestalten, die mir zu Diensten waren, handelte es sich nicht um Menschen, sondern um genetisch gezüchtete Androiden. Eigentlich nur um Abfallprodukte des Resauronprogramms, das initiiert worden war, um Dinosaurier aus fossilen Zellen nachzuzüchten. Die Genetiker hatten dabei so gute Arbeit geleistet, dass praktisch alles ausgebrütet werden konnte, vom Frosch bis zum Pseudomenschen, der fast unverwundbar und stärker wie ein Gorilla war.
Neue Proteinketten und Polymersequenzen verliehen den Andys nicht nur Riesenkräfte, sondern ermöglichten ihnen auch schneller zu denken als jeder Pentagonrechner. Wenn das auch nicht allzuviel heißen wollte.
Ich hatte Glück, Thor, mein bester Mann, meldete sich zuerst. Er trug diesen Namen, weil er der nordischen Göttergestalt tatsächlich stark ähnelte. Er war behende und kräftig und sah jeder Gefahr lachend ins Auge. Vor allem spurte er hundertprozentig. Was bei seinen Kollegen nicht immer der Fall war. Loki zum Beispiel, der Schlaueste, aber auch Verschlagenste, war nur schwer zu bändigen und hatte schon mehrmals versucht, die Herrschaft im Bunker zu übernehmen. Was ihm freilich nie gelungen war, weil die gewachsene menschliche Intuition noch immer von keinem Kunstprodukt geschlagen werden konnte. Das durfte man ihnen allerdings nicht direkt unter die Nase reiben, sonst begannen sich die Augenbrauen zu sträuben. Der wunde Punkt sozusagen, der berühmte Haß auf den Erzeuger. Schließlich war ich auch Wissenschaftler.
Doch sie brauchten mich, sehr dringend sogar, denn außerhalb des Forsts wuchs kein Grashalm mehr und meine Halbgötter mußten auch Speis und Trank zu sich nehmen. Es war mir klar, dass sie nur diese Notwendigkeit an sie band, doch welche Fesseln waren stärker, letztendlich? Liebe, Freundschaft…, nein, alles nur Schall und Rauch. Was zusammenschweißte, waren die nach Befriedigung schreienden essentiellen Bedürfnisse wie Essen und Sex. Ansichten eines verschrobenen Einsiedlers – ja, auch, aber ich hatte schon früher so gedacht, vor dem Big Bang, zumindest ansatzweise.
„Chef, wir sind gerade drüben am Ostende. Loki und Sif haben ein Tier verfolgt, größer wie ein Kalb und schneller als ein Leopard. Wir sahen zwar nur einen schwarzen Schatten, aber es war etwas Lebendiges. Schade, dass Sie uns bei der Verfolgung unterbrochen haben.“
Der gute Thor. Von wegen schwarzes Tier. Er hatte wieder mit Sif geferkelt. Wenn man Scheiße zusammenkleisterte, konnte eben kein Schokoladenpudding dabei herauskommen.
Ich will nicht behaupten, dass sie nicht zu höheren Gefühlen fähig waren, doch die romantische Lovestory hatte ich etwas anders in Erinnerung. Egal, wenn ihre eigentliche Aufgabe dabei nicht zu kurz kam, sollten sie treiben, was sie wollten.
„Hör mal zu, mein Lieber, irgendwas ist unten am südlichen Waldrand, gleich neben dem Pestbach eingedrungen. Lauf sofort los und laß alles stehen und liegen. Ich will wissen, was da vor sich geht. Wie lange wirst du brauchen?“ fragte ich Thor.
„Eine viertel Stunde. Der Auftrag ist schon so gut wie erledigt.“
Dieser Angeber. Das schaffte er nur, wenn er den Turbo einschaltete, aber, wie gesagt, sie hatten schon was drauf. Was wirklich in ihren Innereien ablief, hatte ich niemals durchschaut. Sie selber wußten es nicht genau und die Erbauer lagen schon längst unter der Erde.
Wer oder was könnte es gewagt haben, in mein Hoheitsgebiet einzudringen? In den vergangenen Jahrzehnten hatten sich genau dreimal menschenähnliche Kreaturen in meinen Netzen verfangen;degenerierte Ausgeburten, die sinnlos durch die Gegend torkelten und eigentlich nicht einmal mehr als Hominiden deklariert werden konnten. Nach einem kurzen Verhör hatte ich sie alle in die Kompostierung befördert. Eine scheußliche, unappetitliche Angelegenheit, aber eine notwendige, weil nicht auszuschließen war, dass sie mir gefährlich werden konnten.
Auf den anderen Schirmen war alles ruhig. Ich hatte insgesamt noch fünf Kameras in Betrieb. Viel zu wenig für eine Grenze von über achtzig Kilometer Länge. Doch ich mußte damit zufrieden sein. Schließlich war ich kein Elekroniker und hatte die Geräte mühseligst aus vorhandenen Einheiten zusammensetzen müssen.
Die Dämmerung brach an. Ich sah auf die Uhr. Vor fünf Minuten war Thor gestartet. In fünfzehn Minuten würde er am Einsatzort sein. Aber was tun, wenn das Ding bis dahin vor meinem Bunker stand, weil es doch mit einem dieser Schwebeschlitten unterwegs war? Meine Arsenale waren zwar gut gefüllt, weil ich bei einer meiner früheren Exkursionen auf einen verrotteten Armeelaster gestoßen war und mich vom Maschinengewehr bis zur Flugabwehrrakete mit allem hatte versorgen können, aber die endgültige Sicherheit gewährleistete das nicht, besonders wenn man sich sonst eigentlich nur auf sich selbst verlassen konnte.

Ich stopfte mir eine Pfeife und ließ den vergangenen Tag Revue passieren. Wie üblich war ich mit der Sonne aufgestanden, machte sofort einen Rundgang durch die Beete und verrichtete anschließend meine Leibesübungen. Erst danach setzte ich mich mit meinen Leuten an den Frühstückstisch. Besonders Thor pflegte einen gesegneten Appetit an den Tag zu legen und ich hatte schon einige Mühe, alle Mäuler zu stopfen.
Als ich noch allein lebte, hatte ich neben der wenigeren Arbeit jedoch auch kaum nennenswerte Unterhaltung gehabt. So waren sie zu mir gekommen wie Freitag zu Robinson Crusoe, gerade noch rechtzeitig bevor ich mit meinen Radieschen zu sprechen begann.
Nach dem Morgentee war ich mit kleineren Reparaturen beschäftigt gewesen, die sich bis in die Nachmittagsstunden hineinzogen. Dabei konnte ich am besten Loki gebrauchen, auch wenn er mir mit seinen Histörchen und Bosheiten meist schon nach kurzer Zeit enorm auf den Senkel ging. Vielleicht handelte es sich dabei auch nur um die Nachwirkungen der Tätigkeit meiner Freunde beim Geheimdienst. Denn sie waren natürlich im Regierungsauftrag zusammengeschustert worden und hatten sich ihre Brötchen mit der Erledigung unangenehmer Aufträge verdienen müssen. Komplotte, Attentate, Massenmorde – und ich mußte jetzt alles ausbaden.
Thor war unten am Bach angelangt.
„Chef, ich bin da. Bisher keine Spur von Eindringlingen. Wie soll’s weitergehen?“
Wie gesagt, er war nicht der Hellste. Ohne Zügel ging’s bei ihm nicht.
„Mein Junge, schau, so wie wir es immer im Training gemacht haben. Man sieht sich um, hält nach gebrochenen Zweiglein und Spuren im Farn Ausschau. Wenn du was gefunden hast, nimm die Verfolgung auf und melde dich wieder. Ende.“
Schade, dass ich nicht sehen konnte, wie er die Augen verrenkte. Das tat er immer, wenn er angestrengt nachdachte. Was wir Riecher oder Instinkt nannten, fehlte ihnen völlig. Alles mußte logisch, Schritt für Schritt erschlossen werden. Dadurch mied man zwar falsche Pfade, aber manchmal drehten sie sich auch nur sinnlos im Kreis, als Opfer ihrer hunderttausend Berechnungen pro Minute.
Ich schnappte draußen ein bißchen Luft und hielt die Verbindung mittels eines Handfunkgeräts aufrecht. Ebenfalls das letzte. Ein Glück, dass ich bald sterben würde, denn ohne elektronische Grundbauteile konnte auch ein Loki nichts Brauchbares zusammenbasteln.
Ich wußte, dass Thor geraume Zeit benötigen würde. Wenn es wirklich jemand geschafft hatte, bis hierher vorzudringen, war im Prinzip mit allem zu rechnen. Es konnte sich nämlich auch durchaus um militärisch hochtrainierte Aggressoren handeln, nicht nur um verkommene Subjekte, die ich im Alleingang überwältigen konnte.
Gab es draußen wirklich noch Überlebende, konnte es noch welche geben, nach der furchtbaren Attacke, die mit Sicherheit auch die Angreifer vernichtet hatte? Obwohl ich aus naheliegenden Gründen niemals größere Erkundungsfahrten unternahm, war aus fehlenden Funk- und Radiowellen zu schließen, dass es draußen nichts mehr Erwähnenswertes gab. Oder tarnten sie sich, um überraschend aus der Hüfte schießen zu können?
Thor war früher wie erwartet fündig geworden. Er schien ziemlich erregt zu sein und erstattete keuchend Bericht:
„Ich hab‘ sie, ich hab‘ sie. Die Kleine ist flinker als eine Gazelle, aber ich hab‘ sie. Es ist ein Mädchen, wohl kaum über zwanzig, bis an die Zähne bewaffnet. Und sie kratzt wie der Teufel. Ich werd‘ sie erst einmal zur Räson bringen.“
„Halt, laß das, das mach‘ ich persönlich. Bring sie auf dem schnellsten Weg zu mir, das ist am besten“, befahl ich ihm. Unter zur Räson bringen verstand er womöglich noch bespringen, der geile Bock.
Ein Mädchen also, nicht verunstaltet oder geschädigt, dem Anschein nach und bewaffnet. Da war Vorsicht geboten, das deutete auf eine Organsiation hin, welcher Art auch immer. Irgendwer hatte mich ausfindig gemacht und die Kleine geschickt, um mich auszuspionieren. Warum war klar. Das saubere Wasser, das ich dem Pestbach abtrotzte und meine Pflanzenkulturen, die auf speziell behandeltem Boden gediehen. Beides gab’s draußen nicht mehr. Oder nur in sehr großer Entfernung, im hohen Norden vielleicht, weil sich dort die schädlichen Mikroben nur sehr eingeschränkt entwickeln konnten.
Für mich konnte das nur eines bedeuten. Herausfinden, wer sie geschickt hatte und was ihre Auftraggeber für Pläne hatten. Obwohl ich mir das eigentlich auch schon so ausmalen konnte.
Nach etwa einer halben Stunde brach Thor durch den die Abzweigung des Pestbachs säumenden Schilfgürtel. Er hatte das Mädchen gefesselt und geknebelt und warf sie mir grinsend vor die Füße.
„Hier Chef! Auftrag ausgeführt, solide und hundertprozentig. Obwohl sie leicht ist wie eine Feder, hat sie mir ganz schöne Schwierigkeiten bereitet. Beißt und kratzt viehisch. So was hatten wir eigentlich noch nie. Soll ich sie etwas gefügiger machen?“
Das Mädchen wand sich tatsächlich wie ein am Haken hängender Aal. Aber ich wollte sie möglichst lebendig. Er neigte dazu, übers Ziel hinauszuschießen.
„Nein. Stell sie wieder auf die Beine und nimm ihr das Tuch aus dem Mund. Wir wollen schließlich hören können, was sie zu sagen hat.“
Thor führte meine Order aus und nahm zwei Meter hinter ihr Aufstellung. Nur zur Sicherheit, auch wenn sie noch gefesselt war und schon gemerkt haben dürfte, über welche immensen Körperkräfte mein Gehilfe verfügte. Ich sagte:
„Zuerst einmal herzlich willkommen in meiner Oase. Ich hoffe, der gute Thor hat sie nicht zu ruppig angefasst. Das täte mir unendlich leid. Aber sie müssen ihm verzeihen. Er vergißt einfach manchmal, wie zerbrechlich wir Menschen sind. Was also hat sie zu mir geführt und wie darf ich Sie ansprechen? Sie haben doch einen Namen?“
Sie erwiderte meine Frage mit einem undurchdringlichen Blick. Trotz der gerade überstandenen Strapazen schien sie in keinster Weise beeinträchtigt zu sein.
„Nennen Sie mich Tinka. Einen Familiennamen hatte ich nie. Sie können diesem Grobian übrigens bestellen, dass er sich zurückziehen kann. Ich habe den weiten Weg nicht zurückgelegt, Dolan, um Sie umzulegen“, antwortete sie schneidend.
Dolan, sie kannte also meinen Namen. Das fing ja gut an. Aufgeflogen wie ein drittklassiger Heiratsschwindler. Ob das Täubchen allerdings wirklich wußte, von wem sie gekeschert worden war? Ich sagte:
„Das hoffe ich, Tinka, das hoffe ich. Das gilt selbstverständlich auch für mich. Ich bin weit und breit berühmt für meine Gastfreundlichkeit. Thor, du kannst tatsächlich gehen. Tinka scheint für heute genug von dir zu haben.“
Er verschwand auf meinen Wink hin, und ich führte meinen Gast in einen von Waldreben umrankten Pavillon.
„Wollen Sie sich erfrischen, etwas essen oder trinken? Sie machen nämlich schon einen ziemlich ausgezehrten Eindruck. Wenn ich an die ganzen Strapazen denke, die hinter Ihnen liegen, wird mir ganz übel“, stellte ich echt besorgt fest. Sie sah bei näherer Betrachtung wirklich nicht gut aus. Dünne Beine, hohle Wangen und überall Striemen und Narben. Die Augen zeugten allerdings von einem unbeugsamen Willen. Logisch, sonst hätte sie es nie bis zum Forst geschafft.
„Ein Schluck Wasser würde reichen. Meine Energiewaffeln sind noch nicht verbraucht. Ihr Thor ist doch kein Mensch. Ich tippe eher auf Resauron. Erstaunlich, dass noch immer welche in Betrieb sind“, antwortete Tinka schon etwas unbefangener. Ich drückte ihr eine große Schüssel Wasser in die Hand und sagte:
„Tja, die werden uns alle noch überleben. Mein Glück, denn meine Tage sind gezählt und wer würde meine Arbeit sonst fortsetzen. Auch wenn sie noch so viele Schwächen haben, ich kann nicht mehr auf sie verzichten, auf keinen Fall.“
Tinka machte eine abwertende Handbewegung.
„Sie armes Schwein. Derartig auf minderwertige Plastikprodukte angewiesen zu sein. In Ihrer Lage, vollständige Isolation, vielleicht noch verständlich. Vor dem großen Knall sollte es jedoch Männer gegeben haben, die freiwillig mit diesen Protonenpuppen kopulierten, ohne jeglichen Zwang.“
„Und Frauen, die genau dasselbe taten. In meinem Alter würde Sie das nicht mehr wundern. Die Menschen sind so. Gerade das Abartige übt auf viele eine große Anziehung aus. Ich will mich da gar nicht ausschließen. Mit Sif, der Kollegin von Thor, habe ich früher selber ein paar Mal geschlafen“, gab ich zurück.
Das Mädchen grinste schief.
„So, es gibt also hier noch mehr von der Sorte. Aber wir haben das vermutet. Heutzutage sind die Futtertröge rar und hart umkämpft. Da werden sogar diese Burschen handsam. Eins versteh‘ ich jedoch nicht. Warum haben die Resauron nicht schon längst selbst die Leitung übernommen und das Projekt alleine weitergeführt? Zumindest das theoretische Potential dazu haben sie doch.“
„Mag sein. Aber nur ich weiß, was meine Sämlinge benötigen und wie man sie zu großen, starken Bäumen macht. Wie ich den Boden wieder dazu bringe, fruchtbar zu sein, wie man das Wasser entseucht, wie man richtig kreuzt und wie man neue fertile Sorten hervorbringt. Die Resauron können eigentlich nur besser Computer programmieren und neue Waffen erfinden“, antwortete ich.
„Und wenn Sie sterben? Dann geht dieses ganze einmalige Wissen unwiderruflich verloren. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein?“ fragte sie eindringlich.
Ich grinste innerlich. Jetzt hatte sie sich verraten. Sie wollten mir meinen Wald rauben. Alles stehlen, um wieder von vorn anzufangen mit ihren widerlichen Experimenten, um neue Kriege zu führen, wieder Menschen schinden und töten. Doch ich war nicht gewillt, sie gewähren zu lassen. Ich sprang auf, riß eine der Reben vom Holzgerüst und schrie:
„Was glauben Sie, wie lange es gedauert hat, allein dieses Unkraut wieder hochzubringen? Wie viele Fehlschläge es mich gekostet hat, dieses einmalige Ökosystem zu beleben und am Laufen zu halten? Und jetzt kommen Sie und Ihre Hintermänner daher und wollen mir alles entreißen. Nein, meine Liebe, nur über meine Leiche. Ich werde nicht weichen. Wie haben Sie mich eigentlich entdeckt? Das ist doch hier nur ein winziger, grüner Punkt in der Wüstenei.“
„Mit einem Satelliten, den wir vor fünf Jahren in der Nähe von Narvik in die Umlaufbahn geschossen haben. Wir wußten durch uns von Wüstenpendlern zugetragenen Gerüchten, dass es Sie und Ihren Wald gibt. Aber wo genau wußte niemand. Blindlings Expeditionen loszuschicken ist wegen der Beschränktheit unserer Mittel und der Lebensfeindlichkeit des Landes nicht möglich gewesen. Uns blieb nur die Hoffnung auf die Rakete. Was die uns gekostet hat, können Sie sich als Wissenschaftler vielleicht vorstellen. Jede Schraube zehn Rentierfelle und jeder Meter Draht zwei Kinder, die wir zu den Nordlandbarbaren in die Sklaverei schicken mußten. Wir ernähren uns dort oben ausschließlich von rohem Fisch und altersschwachen Schlittenhunden.
Nirgends wo sonst auf dem Kontinent als hier blühen im Frühjahr noch Blumen. Unsere Kinder kennen nur die Kälte und Dunkelheit des ewigen Eises. Die kleine, bescheidene Siedlung, die wir aus dem gefrorenen Boden gestapft haben, ist ohne Hilfe von außen unweigerlich zum Untergang verurteilt. Und Sie stellen sich hier hin und schreien ‚Meine Bäume, mein Wald‘, als ob Sie der Herrgott persönlich wären. Ja glauben Sie denn, dass ihre Resauronaffen geigneter sind, Ihre Arbeit fortzuführen? Diese Halbkriminellen, die früher einzig als Meuchelmörder brillierten. Sind Sie denn kein Mensch mehr, wie so viele andere, die in der Einöde vegetieren? Es geht um die Zukunft unserer Rasse! Wir brauchen Sie und Ihre Bäume, Dolan!“
„Aber ich Sie nicht, Tinka. Nein, dazu lasse ich es nicht kommen. Die Resauron werden den Wald um seiner selbst willen weiterhegen, und weil dabei noch etwas zu essen abfällt. Sie und Ihr Nordstamm würde einfallen wie die Vandalen und mir alles stehlen und zerstören. So wie es die Menschheit schon immer gemacht hat. Sinnloser Raubbau, der jahrzehntelanges Mühen auslöscht. Wieviele Setzlinge würden denn durchkommen, die Sie von hier nach Narvik transportieren? Kein einziger, nichts wäre gewonnen. Ich lasse das nicht zu.“
Tinka sprang auf und zerschmetterte dabei die Wasserschüssel.
„Auf den Versuch kommt es an, Dolan, nur auf den Versuch. Landeten Sie von Anfang an Volltreffer bei Ihren Experimenten mit den Mikroben und wie lange haben Sie gebraucht, um die verwilderten Resauron zu passablen Assistenten umzumodeln? Bitte, Sie brauchen nicht zu antworten, Sie haben es schon getan! Aber keine Bange, wenn Sie nicht wollen, werden wir uns das mit Gewalt nehmen, was uns zusteht. Und es steht uns zu, vielmehr als so einem vertrockneten Greis, dessen Gebeine bald in der Sonne bleichen werden.“
„Nicht in der Sonne, Kleines. Man wird dir bald zeigen wo. Ich bin auf solche Leute wie euch vorbereitet, das haben Sie vielleicht schon wieder vergessen. Thor, leg‘ ihr wieder den Knebel an.“
Mein Befehl wurde prompt ausgeführt, weil sich Thor etwas abseits hinter den Büschen in Bereitschaft gehalten hatte. Tinka versuchte nicht einmal sich zu wehren, auch nicht als ihr meine Gehilfe die Kampfweste und Waffengurte vom Körper schnitt. Die rohe Kraft des Kunstwesens hatte sie beim ersten Kontakt genug beeindruckt.
Für mich war die weitere Vorgehensweise nun klar. So viele Informationen wie möglich aus dem Mädchen herauspressen und dann entsorgen. Die genauen Koordinaten meines Waldes hatte zwar auch der Rest ihres Stammes parat, aber mir blieb keine andere Wahl. Business as usual – alle Eindringlinge vernichten. Vielleicht wagten sie es auch nicht, nach dem Scheitern der ersten Expedition eine zweite auszurüsten.
Meine Unterhaltung mit Tinka wurde am nächsten Morgen an einem der Klärteiche fortgesetzt, in denen der Pestbach stufenweise von den totbringenden Mikroorganismen befreit wurde. Der Tümpel, dessen Ufer von Holzbohlen umsäumt wurde, maß etwa vier auf vier Meter und verbreitete trotz der vorgeschalteten Stufen entsetzlichen Gestank. In die Mitte hatte ich einen Pfahl gerammt, an dessen oberem Ende, ungefähr plan zur Wasseroberfläche, ein stählerner Ring befestigt war, in dem nun Tinkas Kopf hing. Normalerweise reichten vier bis fünf Stunden, um die Delinquenten zum sprechen zu bringen, aber weil ich das Mädchen für ziemlich zäh hielt, hatte ich einiges mehr zugegeben.
Was den Gefangenen im Wasser am meisten zusetzte, war nicht die verdreckte Brühe, sondern die unzähligen nacktschneckengroßen Blutegel, die sonderbarerweise die Teiche en masse bevölkerten. Man konnte direkt zuschauen, wie die Angepflockten schnell blasser wurden und durch die Bisse der ekelhaften Viecher der Raserei anheim fielen.
Die Schreie, die an dieser Stelle des Waldes durch’s Unterholz posaunt wurden, hatten sogar schon den dickfelligen Loki das Weite suchen lassen. Doch was sollte ich sonst tun? Die Eindringlinge mit einem Geschenk ausstatten und erneut in die Bahn setzen, mit umfangreichen Kenntnissen versehen, mich und den Forst betreffend? Nein, ich mußte so verfahren, allein schon wegen der Setzlinge.
Ich befahl Thor, den Metallbügel zu öffnen und das Mädchen an Land zu holen. Von ihrem wohlgeformten Körper war nicht mehr viel zu sehen. Über und über bedeckt mit diesen schwarzen, schleimigen Kreaturen, die Thor sofort mit seinem Jagdmesser von der Haut zu schälen begann. Ihr Kopf hing willenlos herab und sogar die Lippen wiesen keinerlei Farbe mehr auf.
War ich zu weit gegangen, war das zarte Geschöpf schon am Ende seiner Kräfte? Thor stopfte ihr einen angefeuchteten Schwamm in den Mund und fing an, den geschundenen Körper zu massieren. Mit Erfolg, schon bald rötete sich ihr Teint ein wenig. Sie hob sogar das Köpfchen und hauchte mit kaum hörbarer Stimme:
„Dolan, Sie Dreckschwein. Das hätte ich Ihnen nicht zugetraut, obwohl man uns vor Ihnen gewarnt hat. Sie müssen Ihre Bäume wirklich sehr lieben. Aber auch wenn Sie mich tausendmal umbringen mit diesen Blutsaugern, werden wir letztendlich obsiegen. Wir werden Ihre Resauron mit Drogen und willigen Sklavinnen ködern und zum Überlaufen bringen. Bereits vor Ihrem Ableben. All das wird schneller gehen, als Sie glauben. Der Rest unseres Zuges wird in wenigen Tagen eintreffen. Die werden Sie nicht so leicht in Ihre Gruben verfrachten können. Sie sind mit Laserwerfern bewaffnet und können den ganzen Forst innerhalb weniger Stunden niederbrennen. Wenn es das ist, was Sie wollen…“
„Schonen Sie sich, meine Gute, mehr als diese Information benötige ich nicht. Die Resauron werden nicht desertieren, weil ich ihnen die Stelle, an der sich die Kassetten mit meinen gesamten Anweisungen befinden, erst an meinem Todestag verraten werde. Wenn sie vorher versuchen, an die Bänder heranzukommen, kann ich alles per Funk zerstören. Sie werden sich also die Zähne ausbeißen. Zum Dank für Ihre Angaben lasse ich Sie eines raschen Todes sterben. Ihre Qualen sind beendet.“
Thor hatte mich richtig verstanden und durchtrennte mit einem selbstangefertigten Keramikdolch Tinkas Halsschlagader. Ich sagte:
„Wirf sie zurück ins Wasser. Mögen die Egel ihre Arbeit vollenden. Wir haben anderes zu tun. Du hast gehört, was sie gesagt hat. Nun steht uns eine richtige Invasion bevor. Ruf alle zusammen, wir treffen uns um zwölf vor dem Bunker.“

Der Resauron nickte und verschwand im Farn. Ich konnte nicht widerstehen und zertrat einige der am Boden liegenden Egel. Das frische, hellrote Blut spritzte mit hohem Druck über die sattgrünen Moospolster. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen. Wenigstens ging kein Gramm von Tinkas wertvoller Körpersubstanz verloren. Das war tatsächlich ein Problem, denn von draußen gelangten so gut wie keine Nährstoffe in den Wald. Auch nicht mit dem Pestbach und dem Regenwasser. Beide trugen hauptsächlich nur Schadstoffe ein. Was ich benötigte, um die Pflanzen aufzuziehen, mußte ich in zeitraubenden Verfahren dem angrenzenden Wüstensand entziehen.
Die Resauron fanden sich pünktlich vor meiner Befehlszentrale ein. Thor, Loki und Sif erwartungsvoll lächelnd, Heimdall, der schweigsame, wie gewohnt mit in die Ferne gerichtetem Blick. Er hielt sich auch sonst abseits von den anderen und streifte meist solo an der Nordgrenze umher. Ich war nie ganz schlau aus ihm geworden; seine Art erinnerte nicht gerade an einen Androiden, zumindest in meiner Vorstellungswelt. Loki hatte mir anvertraut, dass er schon immer so gewesen wäre. Er solle sogar ein paar Jahre in einer psychatrischen Klinik verbracht haben. Depressionen bei einem Cyborg! Es war schon fast wieder zum Lachen. Seit er bei mir war, hatte es allerdings kaum einen Anlaß zu Klage gegeben. Er arbeitete eifrig mit und stiftete keinen Unfrieden, aber eben auch nicht mehr. Man hätte es jedoch auch schlechter treffen können mit ihm.
Ich begrüßte alle per Handschlag und ließ meine vorbereitete Ansprache vom Stapel.
„Liebe Freunde und Kampfgenossen. Über unserer friedlicher Idylle brauen sich dunkle Wolken der Bedrohung zusammen. Thor wird euch sicherlich bereits von den ersten Tropfen in Kenntnis gesetzt haben, die unseren Forst befleckten. Die unmittelbare Gefahr ist für heute gebannt, doch morgen sieht es schon wieder anders aus. Eine kleine Armee ist im Anmarsch und führt fürchterliche Waffen mit sich. Waffen, die auf keinen Fall angewendet werden dürfen, weil schon eine von ihnen unseren ganzen Wald vernichten könnte. Sie dürfen sogar nicht einmal in die Nähe des Forsts gelangen. UnsereTaktik kann deshalb nur darin bestehen, den Feind im Vorfeld abzupassen und auszuschalten. Ich habe mir deshalb gedacht, dass Thor, Loki und Sif als Einmanneinheiten ausschwärmen und Tag und Nacht in einem Abstand von zehn Kilometern um den Wald patrouillieren. Sie machen dort alles nieder, was auf zwei Beinen läuft, ohne Vorwarnung. Erst schießen, dann fragen. Bei der Einheit, die uns gerade ansteuert, handelt es sich um eine Elitetruppe, hochmotiviert und erbarmungslos. Sie würden mit uns genauso verfahren. Haltet euch immer vor Augen, dass ihr mit dem Wald fallen werdet. Ohne ihn gibt es kein Überleben. Wenn es euch allerdings trotzdem gelingt, Gefangene zu machen – umso besser. Vieleicht können wir noch die ein oder andere Information aus ihnen herauspressen. Wenn nicht, ab in die Tümpel.
Heimdall und ich bleiben im Wald. Mit Hilfe unserer Kameras und Detektoren werden wir jeden Eindringling, dem es gelingt, den Verteidigungsring zu durchbrechen, ausfindig machen und zur Strecke bringen. Ebenso effizient wie unsere Kameraden draußen in der Wüste. Gibt es noch Fragen?“
Nur Loki gab sich nicht zufrieden.
„Heimdall und du sollen alleine die Verteidigung des Waldes übernehmen? Nicht, dass ich euch für unfähig halte, doch was passiert, wenn mehrere Angreifer uns da draußen umgehen können und unbemerkt in unser Reich gelangen? Das ist ja nicht so unwahrscheinlich, wenn man die Größe des Gebiets in Betracht zieht, das wir zu dritt kontrollieren sollen. Glaubst du wirklich, dass ihr beide das schafft?“
Er wollte wie üblich nur stören und wußte selber, dass wir keine andere Wahl hatten. Doch ich war nicht dazu aufgelegt, auf seine Spinnereien ernsthaft einzugehen.
„Ja, sehr gut, kannst noch heute nachmittag mit Sif für Nachwuchs sorgen. Wenn ihr euch beeilt, stehen uns morgen zwanzig oder fünfzig Resauron zur Verfügung. Dann wird die ganze Angelegenheit mit Sicherheit zum Kinderspiel. Und jetzt genug gescherzt. Ihr wißt, was ihr zu tun habt. Um drei Uhr treffen wir uns wieder hier zur Waffenausgabe.“
Sie zogen sich lautlos in ihre Quartiere zurück. Der Seitenhieb auf ihre Vermehrungsprobleme hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Die Resauron konnten sich nämlich nur unter Laborbedingungen, im Brutkasten quasi, fortpflanzen. Seit ihnen die erforderlichen Apparate fehlten, war Ebbe mit dem Nachwuchs. Zum Glück, konnte man fast sagen, denn ohne diese Schranke hätten die Androiden den kläglichen Rest der Menschheit wohl zum Frühstück verspeist. Als Werkzeuge waren sie ganz nützlich, aber nicht zur Herrschaft prädestiniert, völlig ungeeignet sogar, so weit ich sie kennengelernt hatte. Seine Abkunft konnte eben niemand verleugnen.
Ich begab mich in die Waffenkammer und sah die Gewehre durch. Alles Automatikteile, doch ob das gegen Tinkas Truppe reichte? Wenn sie sogar schon wieder Satelliten in die Umlaufbahnbahn schossen. Ihre Ingenieure waren bestimmt mit dem theoretischen Wissen für alle möglichen Teufeleien ausgestattet und arbeiteten rund um die Uhr an ihren Höllenmaschinen. Das alles würde sich jetzt gegen mich richten. Und die Resauron, die zwar äußerst robust gestaltet, jedoch nicht unzerstörbar waren. Deren Lebenspanne betrug übrigens circa zweihundert Jahre. Das konnte mir allerdings egal sein. In fünfzig oder spätestens hundert Jahren benötigten meine Bäume keinen Gärtner mehr.
Wenn die Nordländer tatsächlich Laserwaffen ihr eigen nannten, sahen wir verdammt alt aus. Resauronfleisch konnte genausogut verkocht werden wie unseres. Da nützten auch die Reflextarnanzüge nichts, die Photonen absorbierten und den Träger fast völlig unsichtbar machten. Wer Laser hatte, verfügte auch über Radarbrillen und Sonarsucher, mit denen man alles, was sich bewegte, auch bei größter Dunkelheit orten konnte.
Es würde schwer werden, aber ein Typ wie Thor steckte nicht so leicht auf. Je diffiziler die Aufgabe, desto verbissener ging er los. Einem Bullterrier gleich, der trotz zehnfacher körperlicher Unterlegenheit einen Keiler zur Strecke brachte. Bei den anderen mußte man freilich schon Abstriche machen. Besonders Loki würde sich nie für den Wald opfern, höchstens wenn er aussichtlos in die Enge getrieben würde. Ähnlich verhielt es sich mit Sif, die selten über ihren Mitläuferstatus hinauswuchs.
Munition war genug vorhanden. Für jeden mindestens drei Gurte. Dazu ein Flammenwerfer und zwei Dutzend Handgranaten. Der Rest blieb der körperlichen Leistungsfähigkeit der Resauron überlassen.
Alle trafen pünktlich ein. Ich händigte die Waffen aus und gab den Ausschwärmenden noch einige aufmunternde Worte mit auf den Weg.
„Ich weiß, dass ich euch nicht dazu motivieren muß, da draußen alles zu geben. Ihr habt es bislang immer getan und ihr werdet es auch in den nächsten Tagen tun. Auch wenn klar ist, dass der Gegner überlegen ist, zumindest waffenmäßig. Doch ihr werdet sie schlagen, allein schon weil ihr Resauron seid. Absolute Elitetruppen, die diese Schwächlinge und dekadenten Maden mit links zertreten werden. Geschmeiß wie dieses zerstörte unseren Planeten und hat nichts Besseres verdient. Radiert sie aus und kommt alle heil zurück. Ich zähle auf euch!“
Thor schulterte sein Gewehr und trabte los, ohne in den Tarnanzug zu schlüpfen. Er hatte Blut gerochen und würde erst wieder zur Ruhe kommen, wenn er Gelegenheit hatte, es zu trinken. Vorher keinesfalls. Wirklich eine Freude, so einen Kämpen in den eigenen Reihen zu haben.
Sif und Loki schlichen davon wie geprügelte Hunde. Für sie kam das Verlassenmüssen des schützenden Waldes wahrscheinlich einem Todesurteil gleich. Was auch eintreffen konnte, wenn sie sich weiterhin so einsatzfreudig gebärdeten. Heimdall weigerte sich auch, in den Flexanzug zu schlüpfen.
„Meine Tarnung ist der Wald. In diesem Ding kann ich mich kaum rühren. Vor allem aber, habe ich es nicht nötig, mich vor meinen Feinden zu verstecken. So etwas ist feige und eines Resauron unwürdig. Ich brauche nur das Gewehr.“ Nahm’s und sprang davon.
Ab jetzt konnte ich sie nur noch per Funk dirigieren. Obgleich sie wußten, was sie zu tun hatten.
Ich begab mich in den Überwachungsraum und setzte mich vor die Schirme. Alles ruhig, doch das wollte wie gesagt nicht viel heißen. Zu wenig Kameras, zu wenig Detektoren. Sollte ich nicht lieber an den Grenzen entlang Streife gehen, weil ich dort mehr Meter kontrollieren konnte als hier unten? Zweifellos, der Funkontakt zu allen ließ sich nur mit dem immobilen Zentralgerät aufrechterhalten, nicht mit den Handys. Blieb mir also nur, den Kühlschrank aufzufüllen und abzuwarten.
Es war mir gelungen, aus einer bestimmten Farnart Alkohol zu destilieren, so dass ich meine einsamen Abende etwas unterhaltsamer gestalten konnte. Diese Gebräu ersetzte bei mir und den Resauron fast jegliche Art von Medizin, weil es sich auch äußerlich anwenden ließ und enorm wirksam war. Von den Resauron sprach eigentlich nur Loki dem Getränk regelmäßig zu. Er neigte dann allerdings dazu, ausfallend zu werden und stellte Sif nach. Was wiederum Thor nicht gefiel, der den Angetrunkenen schon mehrfach übel vermöbelt hatte. Menschlich halt das Ganze, wenn man vergaß, mit wem man es zu tun hatte.
Das hatten Tinkas Nordländer anscheinend allerdings auch getan. Denn die drei Mann, die mir Thor achtundvierzig Stunden später vor die Füße warf, schauten derart verdutzt mit ihren blutig geschlagenen Augen drein, dass ich mir das Lachen kaum verkneifen konnte.
„Holla, holla, da sind mir aber drei feine Kaninchen in die Falle gegangen. So ein böser Wolf aber auch. Thor, du solltest dich schämen, die armen Leute so durchzukneten, nach der langen anstrengenden Reise. Schau wie sie sich ducken“, meckerte ich gehässig.
Sie duckten sich tatsächlich, allerdings nur, weil Thor mit Nachdruck auf die Eisenstange trat, an die er ihre Köpfe gekettet hatte. Ich rief:
„Laß, ich will noch ein bißchen Spaß mit ihnen haben. Natürlich nur, wenn sie nicht kooperieren wollen. Ihr wollt doch kooperieren?“
Nur nervöse Blicke, der Mittlere überlegte länger, verbiß es sich aber wieder. Sehr gut ausgebildete Leute, in der Tat, doch es würde ihnen nichts helfen.
„Thor, mach‘ das Mühlrad bereit, wir wollen die Herren erst einmal waschen.“
Ich meinte damit die Vorrichtung drüben am Pestbach. Ich hatte vier zwei Meter lange Holzpaddel sternförmig an einer Stammscheibe befestigt, in die Mitte der Scheibe ein Loch gebohrt und einen massiven Ast durchgesteckt, der auf zwei Astgabeln ruhte. Die Paddel tauchten gut einen halben Meter tief in die Bachbrühe ein und wurden durch die träge Strömung etwa zwanzig Sekunden später wieder an die Oberfläche befördert. Wenn man nun einen Menschen kopfüber an eines der Paddel band, konnte man sehr schöne Effekte erzielen, allein schon wegen der ätzenden Wirkung des Wassers.
Während wir die Gefangenen hinüber zum Pestbach schleiften, unterrichtete mich Thor vom Verlauf des Feldzugs.
„Der erste Tag verlief ziemlich ereignislos. Sandstürme tagsüber, nachts eisige Kälte. Ich war permanent auf den Beinen und lief den mir zugeteilten Sektor pausenlos ab. Ohne Ergebnis. Erst in der zweiten Nacht konnte ich in einer Senke zwischen zwei Dünen die bläuliche Flamme eines Gasbrenners ausmachen. Ein Trupp von acht Mann. Alle schliefen, bis auf einen, der Wache hielt. Ich erschoß fünf sofort und überwältigte die drei hier mit Handkantenschlägen. Alles ohne die geringsten Probleme, weil sie total entkräftet waren.“
„Und die anderen, Loki und Sif? Per Funk konnte ich niemand erreichen“, hakte ich nach.
„Ich auch nicht, wahrscheinlich wieder einer dieser Sonnenstürme. Aber was soll’s, mehr als das hier werden sie schon nicht losgeschickt haben. Und wenn, wird’s kein Problem sein, sie zu erledigen“, antwortete Thor zuversichtlich.
„Wollen wir’s hoffen. Binde die Gefangenen sofort an’s Rad. Wenn sie bereit sind zu sprechen, nimmst du sie herunter. Ich muß zurück in den Bunker. Vielleicht kann ich Sif und Loki doch noch erreichen.“
Das gelang mir tatsächlich, allerdings erst zwei Tage später. Die beiden hatten sich irgendwo an der Waldgrenze herumgedrückt und keinerlei Feindberührung gehabt. Ich rief sie zurück und ließ sie an der Beisetzung der drei Soldatenkadaver beiwohnen. Vorerst würden wir wohl wieder unsere Ruhe haben.

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