Guntram Balzer: MUZURK

7 Texte

„Was aber tun in einer Zeit ohne Maßlosigkeit? Natürlich könnte man sich versuchsweise bei lebendigem Leib rösten lassen; eine Lesung unter selbigem Titel geben; die tiefen Schluchten der Meerungeheuer aufsuchen, sich einer Elektroschocktherapie unterziehen; nach Alaska auswandern oder den Damen vom fremden Stern ein farbiges Empfangsfest bereiten, usw. Aber das alles ist im Grunde nur Poesie.“
Paul M. Waschkau

Den Tag entwerten, Gesetze brechen

jetzt ist killing-time = Beschäftigungstherapie

machen sie mehr aus sich, säuselt diese Stimme

und verkauft Whiskey, Einbauküchen, Tampons;

mit den gleichen Worten kann man einem ein

Messer in den Leib stoßen und wenn die Handlung

gilt, sagt man: das ist wieder so ein Tag, den man

verfluchen könnte. Staubtrocken. Ein Säugling

schreit. Im Kopf ein Hornissenschwarm & kein

Bier um den Rausch von gestern wieder aufzuwärmen.

Und du würdest es wiedertun? Immer wieder! Ich

springe von weit oben in den Fluß und bin entkommen

und habe einen riesigen blauen Fleck so groß wie

ein Kuchenteller, aber ich habe es geschafft und

werde nie wieder zurückkehren. Immer nur das

Eine: Fernsehprogramme, Filme, Bilderblätter,

Psychoquasseleien. Mensch ist nackt und macht

sich nackt. Ein Monster gefüllt mit Obsessionen.

Mensch tötet und kopuliert. Mensch kopuliert und

tötet. Endlich frei. TATÜTATA


Karstadt – Parfümerieabteilung

Als mein Eis auf ihre

blankpolierte Theke fiel

wurde sie kribbelig.

Irgendeinen Lappen holte

sie aus der Luft und

verwischte hektisch die Spuren

des Genusses, dessen Namen

an dieser Stelle nichts zur Sache

tut. Hier stinkt’s, sagte ich, blickte auf

die öligen Flakons und die

gelangweilten Frauenkörper davor,

teure Bikinimode oder ohne: dann

aber sind die Photographen noch teurer.

Ihr Blick, der zwischen zwei Ohrgehängen

festgeschraubt war, traf mich nicht, während

ihre Hände in Gold badeten, ihre Brüste

wahrscheinlich voller Silikon waren und

ihre Fußnägel… Wenn die grün sind, in

diesem wunderbaren Ton, würde ich dich

gerne lieben auf der Stelle

Liebe auf Sofa mit Schlaffunktion

Sie ist behaart

aber herzlich

aufrecht stehen ihre Brüste

die ich unter mir begrabe:

das Spiel gelingt.

Wir blicken uns nicht tief in die

Augen, stöhnen nicht, furzen

nicht, machen keine Geräusche.

Lieber diskutieren wir während des

Sex über Politik. Dann treffen wir uns

auf ein Glas im Nachbarzimmer


Sex ist wie Schokolade

manchmal in lila, schwarz

oder weiß dein Slip

mit dem du die Voyeure blind stellt

die Stofftiere in deinem Bett

und dann zum Papier greifst;

zwischen deinen Beinen schmilzt

die Schokolade gerade, als ich dich erreiche

unter deinem Hemd brüte ich deine Brustwarzen aus

dann haben wir kurz hintereinander,

leise und aufeinander bezogen, aufgeschrieen

das Bett ist eine warme Muschel aus Schlaf.

Schneeflockenlicht fällt durch die

breitgemusterten Vorhänge und legt

sich darüber wie Diamantstaub

ich lege noch das Schokoladenpapier

darüber, um es zu schützen


Sie

Schlange auf Pfennig

er

mit Hut

und mein Fuß

litt

unter ihr

und

mit ihm

dem seine Augen

in

der Buchhandlung

ausliefen

und der

sich bei

diesem Frauchen

doch

nichts kaufen

durfte

aber

irgendwie

muß es

bei Ihr

doch gemütlich

gewesen sein

Virtueller Kaffee

Bonjour – ich bestelle

mir einen Drink

zum Wachwerden. Der

kommt natürlich nicht. Ich

muß mir nur vorstellen, dass

er kommt. Ich trinke Kaffee

aus ihrer hohlen Hand. Nicht

so schnell, nicht so heiß,

schreie ich ihr entgegen. Sie

läßt die Hand fallen. Mein

Sonntagsanzug ist jetzt braun.

Die Vernichtung all meiner

Wünsche hat stattgefunden.

Jetzt bin ich nackt; eine leere

Hülle in einem leeren Gewand


sonnenbrille

um ihre augen zu sehen, gehe ich folgendermaßen vor:

zuerst setze ich ihr den hut ab

damit dieser beim brilleabsetzen nicht beschädigt wird

dann kämme ich ihr haar zurecht

damit die frisur beim brilleabsetzen nicht beschädigt wird

dann gehe ich mit dem glasschneider zu werke

die herausgetrennten gläser wickele ich vorsichtig in taschentücher

dann erst setze ich ihr die brille ab

sie blinzelt

schade nur um das licht, das jetzt ihr augen trifft


Guntram Balzer, geboren 1963 in Hagen/Westfalen, Studium der Germanistik und Philosophie an der Universität Düsseldorf, Buchhändler, verschiedene Veröffentlichungen in Zeitschriften (Unicum, Literaturdienst, Tasten) und Büchern (Wortnetze III, Zehn, Junge Lyrik dieser Jahre), neuerdings auch im Internet (Gangway #2), lebt in Erkrath/Rheinland (Deutschland).

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