Kristen Hunter

Das australische Feuerwehrsystem

Eine Fallstudie

Es war ein Sonntag morgen – ein früher. Wie wach ist man an einem Sonntag morgen um acht? Nicht wach genug, um schneller zu sein als die Tür. Und so fand ich mich vor der Wohnungstür, mit dem Wäscheklammerbeutel, dem noch leeren Wäschekorb und ohne Schlüssel, und hatte noch das Klicken der Tür im Ohr.

Dies war der Anfang einer langwierigen und sehr australischen Geschichte, in der wenig ökonomische Effektivität, ein bißchen Bürokratie und viel Hilfsbereitschaft die Hauptrollen spielen.

Erst einmal setzte ich mich auf das Mäuerchen vor dem Haus, um auf Silke zu warten, die mich eine Viertelstunde später zum Sonntagsausflug abholen sollte. Der vorbeigehende energische Herr mit silbrigweißem Haupte, der auch sonntags sein walking-Programm ernst nimmt, wunderte sich nur wenig, als ich ihn nach seinen Schlüsseln fragte. Ich weiß, wie poofelig die australischen Schnappschlösser sind und gebe ihnen eine recht große Chance, dass ein Schlüssel für viele paßt. Der silbrigweiße Herr wußte das anscheinend auch und gab mir ohne Zögern seine Schlüssel. Er folgte mir aber doch mißtrauisch bis zu meiner Wohnungstür im dritten Stock und nahm’s als zusätzliche Fitneßübung. Leider paßten seine Schlüssel nicht.

Dann kam Silke. Bevor sie auch nur den Gedanken entwickelte, einen Parkplatz zu suchen, saß ich schon neben ihr und erklärte ihr, dass wir jetzt die nächste Hauptstraße hinunter und zum Makler müßten, denn der Makler hatte Schlüssel zu meiner Wohnung.

Während ich erklärte, heulten drei große Feuerwehrwagen die Hauptstraße entlang, in die meine kleine Nebenstraße einmündet. Als wir dann in diese Straße einbogen, sahen wir sie hundert Meter weiter vor einem Haus stehen. Silke schlug vor, wir sollten doch hingehen und angelegentlich fragen, ob sie uns eine Leiter leihen könnten. Mir war das aber peinlich, und ich setzte durch, dass wir in die andere Richtung, gen Makler, fuhren.

Der Makler hat manchmal sonntags offen, soviel wußte ich. Aber an diesem Sonntag; und dann auch noch kurz nach acht? Natürlich war er nicht offen. Der hardware store nebenan war aber offen, und der freundliche Besitzer überzeugte uns, dass das Maklerbüro jeden Sonntag geöffnet sei, spätestens ab zehn, aber vielleicht auch schon ab neun. Er weiß das, er arbeitet ja da. Und ansonsten seien die LCD-Schlosser die billigsten, und sie kommen auch sonntags. Als wir beim hardware store herauskamen, war Licht beim Makler. Aber es war niemand da. Peinliche Minuten klopften wir ans Maklerbürofenster, während ein halbes Dutzend Leute direkt davor uns zuschauten, denn sie warteten auf den Bus und waren froh, dass was zum Gucken passierte, denn die Busse sind immer spät, und man langweilt sich so beim Warten.

Wir gingen erstmal frühstücken.

Die Bedienung im Café nebenan erklärte uns, dass der Makler nie sonntags geöffnet hätte. Sie weiß das, sie arbeitet ja da. Aber sie würde einen billigen Schlosser kennen, der auch sonntags kommt.

Sie ging auch gleich nach hinten und schaute in die gelben Seiten. Und fragte hinten auch ihre Kollegin. Die kannte auch einen billigen Schlosser, der sonntags kommt. Jetzt hatten wir drei Schlosseradressen. Und ob wir im NRMA (ADAC) seien? Die kämen umsonst, wenn man Mitglied ist.

Und dann fiel einer weiteren Bedienung hinten im Café noch ein, dass die Polizei Generalschlüssel hat. Wir sollten doch einfach nur dahingehen und ein bißchen mit den Augen klimpern, trug uns unsere Bedienung zu.

Um kurz nach neun hatten wir allen Kaffee getrunken, alle Croissants gegessen und alle Ratschlagquellen erschöpft. Der Makler nebenan hatte immer noch Licht, aber es war immer noch niemand da. Diesmal klopften wir nicht mehr an die Scheiben, aber fluchten leise über automatische Lichtschalter und überflüssige Einbrecher-vertreibungs-systeme.

Dann riefen wir von einer öffentlichen Telefonzelle aus die Firma von Silkes Mietwagen an. Die Firma war leider nicht beim NRMA. Auf dem Weg zur Telefonzelle stellten wir fest, dass die drei Feuerwehrwagen die Straße runter schon nicht mehr da waren. Ihre Leitern hatten sie auch mitgenommen.

Also zur Polizei. Denn mit den Augen klimpern können wir. Das Revier lag in einer kleinen Nebenstraße und sah auch aus, als ob es sonntags geschlossen hätte. Hatte es aber nicht.

Der latin lover hinter dem Tresen war nicht beeindruckt von unseren Augen, sondern meinte nur, da könne man nix machen. Die ebenso kurzangebundene Polizistin, die hinten an einem Schreibtisch saß, meinte auch, da könne man nix machen.

Aber dann – schlug die australische Hilfsbereitschaft zu! Und diese einmalige Kombination von Bürokratie und Aktivismus nahm ihren Lauf.

Ob ich etwas angelassen hätte in der Wohnung, fragte sie. Ja, hatte ich. Der Grill im Herd muß immer etwas vorgewärmt werden, bevor er das Toast toasten kann. Also hatte ich ihn vor dem Wäscheholen schon mal angestellt. Dann, sagte die Polizistin, sei das ein Notfall.

Und bevor ich begriff, was sie tat, und sie hindern konnte, rief sie die Feuerwehr an. Gab meine Adresse durch. Rief den Notfall aus. Wandte sich dann mir zu und erklärte mir, dass ich mich jetzt beeilen müßte, zu meiner Wohnung zu kommen, denn die Feuerwehr sei schon unterwegs, und wenn ich nicht da wäre, würden sie die Tür einschlagen.

Mein Gott! Silke und ich rannten, sonntagmorgenrekordbrechend, die Straße entlang, den Hügel hinauf, zum Auto. Wir schafften es noch vor der Feuerwehr.

Vor meinem Haus auf der Straße standen wir, da hörten wir sie schon kommen. Und sahen sie: auf der Hauptstraße herbeirasend, mit Martinshorn und Sirene schreckte ein großer Feuerwehrwagen unschuldige Bürger aus dem Schlaf. Und jagte im Feuereifer an meiner kleinen Nebenstraße vorbei – summ. Einen Moment später kam er wieder zurück, diesmal langsam und vorsichtig und ohne Sirene, und fand meine Straße.

Vier ernste Männer stiegen aus. Der Boss kam mit mir zu meiner Wohnung hoch und versuchte erstmal eine Plastikkarte. Ich bekam Respekt vor meinem Schloß, es hielt dicht. Dann preßte er sein Ohr gegen die Tür. Aufgeregt und konzentriert: „Ich hör da was! Haben Sie einen Rauchdetektor?“ Ich klärte ihn auf, dass es das Radio sein mußte, was er hörte.

Die nächste Maßnahme war die Leiter. Sie wurde zu ihrer ganzen Länge ausgefahren, die ersten Nachbarn sammelten sich an den Fenstern. Leider ist vor dem Haus die Einfahrt zur Tiefgarage, der Grund liegt daher etwas tiefer, und die Leiter reichte nicht. Dann, erklärte mir der Boss, müßten wir jetzt die Tür einschlagen. Ich begann, gegen hilfloses Gekicher ankämpfen zu müssen.

Auf dem Weg nach unten traf ich einen entschlossenen Feuerwehrmann mit Gasmaske um den Hals und Sauerstoffflasche auf dem Rücken. Ich wollte schreien, dass es überhaupt nicht in Frage käme, meinen Wohnungstür einzuschlagen, und schon gar nicht mit Gasmaske und Sauerstoffflasche. Und inzwischen sei es spät genug, dass ich auch meine Freundin drei Straßen weiter anrufen könnte, die einen Schlüssel hat. Erinnerte mich dann aber daran, dass es sicher nicht so diplomatisch wäre, diese Freundin jetzt zu erwähnen.

Ich wies also die Feuerwehrleute darauf hin, dass auch mein Fenster nach hinten raus offen sei. Also wurde die Leiter hinten nochmal aufgebaut, ein klappriges Modell, das mich um den hinaufkletternden Feuerwehrmann bangen ließ, und drei Minuten später war ich in meiner Wohnung.

Brach endlich in das lange zurückgehaltene Gekicher aus und rauchte erstmal eine. Und fragte mich, und frage mich bis heute, warum die drei Feuerwehrwagen am Ende der Straße wohl wieder so schnell weggewesen waren.

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