Silke Rosenbüchler

Vatermord

Die Schnitterin

Alle Männer mit Bart sind mein Vater. Mit dunklen Haaren und braunen Augen, gepflegtem Haarwuchs über den Wangenknochen, exakt ausgeschnitten. Ich erkenne ihn am Gang, an diesem sorglosen “Was kostet die Welt?” – Blick. Manchmal treffe ich ihn auf der Straße, in einem Geschäft, meistens aber finde ich ihn in einer Bar, leicht angeheitert, mit einer Zigarette zwischen den Lippen. Die Hand mit dem blassen Streifen am Finger fährt langsam das Longdrinkglas auf und ab. “Warum hast du dich nie um mich gekümmert?” frage ich ihn und setzte mich an seinen Tisch. Mit diesem leichtlebigen Lächeln tastet sein Blick meine Figur ab. Aus dem kleinen Püppchen mit den großen Augen ist eine Frau geworden. Jetzt habe ich auch so schöne Brüste wie meine Mutter. Jetzt bleibt sein Blick an mir haften, an mir, und wandert nicht unruhig im Zimmer umher, bis er sich im Busen meiner Mutter verfängt. Meistens sagt er dann, dass es ihm leid tue, sich nicht um mich gekümmert zu haben. Ich lächle. Ich glaube ihm kein Wort. Aber ich freue mich, dass er mit mir nachhause gehen möchte. Sonst ist er doch immer so bald weggegangen. Aber nein, jetzt kommt er zu mir. Zu mir! Mit beschwingtem Schritt zeige ich ihm den Weg. Meist ist er erstaunt, wenn er das Zimmer sieht, dass ich für ihn vorbereitet habe. Das Zimmer ist immer vorbereitet. Ich weiß ja nie, wann er kommt. Manchmal fragt er mich, was das soll, warum ich das Bett und den Fußboden mit Plastik ausgelegt habe. Dabei ist es doch so offensichtlich, dass sich Plastik viel leichter reinigen läßt als ein Teppich oder das Parkett. Wie dumm er doch ist. An manchen Tagen jedoch ist er hell begeistert, befolgt willig meinen Befehl, sich das Gewand auszuziehen und ordentlich auf den bereit gestellten Stuhl zu legen. Meine Mutter kann es nicht ausstehen, wenn er seine Kleider in der ganzen Wohnung verteilt. Manchmal sträubt er sich auch, dann muß ich ihm einen Tritt geben, einen harten, kurzen Stoß zwischen die Beine, damit er sich erinnert, warum er da ist. Er muß mir gehorchen. In meiner Wohnung mußt du mir gehorchen. So habe ich es gelernt.

Wenn er auf der Pritsche liegt und alle Riemen stramm gezogen sind, gönne ich mir eine Ruhepause, einen Campari Soda, rot und prickelnd, zu Ehren seines Besuches. Ich setze mich auf den Sessel, der genau vor dem Bett steht, und betrachte den Körper, der gebunden vor mir liegt. Ich trinke meinen Campari und denke an all die Stunden, in denen ich heimlich beobachtet habe, wie andere Väter sich um ihre Kinder kümmerten. Wie sie sie hochhoben und lachten und ihnen die Schuhbänder zuschnürten. Schau, mit dem einen Band machst du eine Schlaufe, und das andere wickelst du darum herum, siehst du, so. Ich habe dir auch eine Schlaufe gemacht, eine schöne Masche an jedem Knöchel, ist gar nicht so leicht mit diesen Lederriemen, sie dürfen ja nicht aufgehen, nicht wahr, wenn die Masche aufgeht stolperst du, ich habe es gelernt, auch wenn du es mir nie gezeigt hast. Bist du Stolz auf deine Tochter? Du bist so nackt.

Früher hast du dich nie für mich ausgezogen. Nur meiner Mutter hast du dein Geschlecht dargeboten. Damit zeige ich Mami, wie lieb ich sie habe, hast du meine Fragen beantwortet. Mir hast du es nicht einmal gezeigt. Jetzt sehe ich es. Es sieht immer ein wenig anders aus. Manchmal liegt es klein und verschrumpelt in seinem Nest aus schwarzen Haaren, manchmal ragt es steil und krumm empor, pulsiert, zeigt mir herausfordernd den glitzernden Tropfen, den es an seiner Spitze gebildet hat. Aber das ist jetzt nicht mehr wichtig. Nichts ist jetzt wichtig.

Schau mich an! Warum schaust du mich nicht an? Warum machst du die Augen immer zu? Bist du müde? Oh, diese bösen Augenlieder, die immer herunterklappen, sich zwischen uns legen und verhindern, dass du deine Tochter betrachten kannst. Diese schönen, langen Wimpern. Ich helfe dir. Du sollst nicht mehr unter der Tyrannei deiner Lider leiden. Nichts darf dich daran hindern, mich mit stolzem Blick zu betrachten, mich, deine einzige Tochter! Vorsichtig, ganz vorsichtig, damit ich dir nicht weh tue, nehme ich deine Wimpern zwischen Zeigefinger und Daumen, ziehe an ihnen das Lid hoch, hebe es auf, schwer will es wieder heruntersinken, aber das lasse ich nicht zu, ich lasse es nicht mehr zu dass du mich nicht ansiehst, mit einem raschen Schnitt trenne ich die ungehorsamen Lider von deinen Augäpfeln und werfe sie achtlos in die Porzellanschüssel. Du weinst rote Tränen beim Anblick deiner Tochter. Warum bist du damals weggegangen?

Du lachst?

Die Männer, die mir meine Mutter als Ersatz für dich gebracht hat, wollten nie, dass ich lachte. Sie wollten nicht, dass ich mich freute, wenn sie kamen. Das machte sie immer so wütend, wütend, wütend. Erst wenn ich schrie und Tränen meine Wangen entlang liefen grunzten sie und zeigten mir, wie lieb sie mich hatten. Manche wollten auch, dass ich ihr Geschlecht ablecke, wie einen Lolly. Aber ein Lolly schmeckt süß und wunderbar und nach Himbeere, Kirsche oder Orange. Ich erinnere mich noch, wie einer von ihnen ein Plastikhäutchen über sein Glied rollte, das schmeckte ein wenig wie Fruchtkaugummi. Ein ganz komisches Gefühl auf der Zunge. Ich versuchte ein wenig daran zu knabbern. Er riß mir ein Büschel Haare aus. So.

Mama hat behauptet, du bist wegen mir weggegangen – aber sie hat gelogen, Lüge, eine Lüge, eine Lüge! Weil ich so viel geschrien hätte. Aber sie wollten doch, dass ich schreie. Sie wollten es! Wenn ich lachte und freundlich war, wurden sie böse. Aber wenn ich weinte und schrie durfte ich mitspielen. Oh, ich war gut! Ich muß einfach gut gewesen sein, sonst hätten sie nicht so viele Filme mit mir gedreht, komm, ich zeig dir einen. Hier, schau, mach’ ich das nicht gut? Wenn ich sie zum Abspritzen brachte, war ich frei. Natürlich wollten sie das nicht, nicht so bald, langsam, nicht so schnell! Und ich schaffte es immer.

Sorgfältig binde ich den Arm knapp über dem Handgelenk ab. Das Abbinden der Schnittstellen habe ich im Sanitätskurs gelernt. Die Lederriemen müssen fest sitzen. Sie wurden aus hellem Leder gefertigt, nun sind sie fast schwarz gefärbt, weil ich so oft das Blut von ihnen waschen musste. Wenn sich die Hand dunkelviolett färbt, habe ich das Blut fest genug abgebunden. Der Blutkreislauf wird erfolgreich unterbrochen. Mit einer kleinen, leisen Motorsäge beginne ich, die Hand vom Arm zu trennen. Der Stumpf muß verbunden werden, solange der Schock verhindert, dass allzuviel Blut aus dem Körper fließt. Das erste Mal habe ich soetwas mit 8 Jahren gesehen, in einem der Filme, die mir die vielen vielen Onkeln mitgebracht haben. Es waren seltsame Filme, die sie mir zeigten. Filme, in denen kleinen braunen Puppen Stück für Stück die Gliedmaßen abgenommen wurden. Erst die Hände, dann die Füße, dann die Arme, dann die Beine. Damit sie handlicher wurden. Damit sie leichter hochgehoben und auf das Geschlechtsteil geschraubt werden konnten. Die Puppen sahen aus wie Kinder. Aber das waren keine echten Kinder, das waren nur Puppen, die wie Kinder aussahen. Ein Onkel hat es mir erklärt. Keine richtigen Menschen, sondern Puppen, Puppen zum spielen, so wie du eine bist. Du bist nur eine Puppe, weißt du das nicht? Puppen kennen keinen Schmerz. Eine Puppe ist vollkommen gefühllos, so wie du, mein Herz. Du mußt eine Puppe sein, weil du sonst einen Vater hättest, jemanden, der auf dich aufpasst. Dein Vater ist ein Puppenmacher, deine Mutter ein Püppchen, sieh sie dir an, wie reglos sie dort sitzt, die starren blauen Glasaugen ins Leere gerichtet, das Haar hübsch gelockt. Die rot bemalten Lippen in dem weißen Porzellangesicht sind leicht geöffnet. Schlafaugen hat sie, diese Puppe, und ein wenig gehen kann sie auch, und oh ja, oh ja bitte sagen. Das hat der Vater von der Kleinen aus ihr gemacht, der Dreckskerl, der einfach weggelaufen ist, ohne sich um seine Familie zu kümmern. Ja, mein Vater hat uns verlassen, er hat aus uns gefühllose, weiße Puppen gemacht.

Nein keine Puppe. Puppen spielen nicht. Mit Puppen wird gespielt. Und jetzt bist du mein Püppchen. Das ist doch fair, oder? Nachdem solange ich das Püppchen war? Komm, wir tauschen die Rollen, und du bist das Püppchen, das keinen Schmerz mehr fühlt und das still liegt und nur oh ja, ja bitte sagen kann.

Eiskalt liegt deine Hand in meiner Hand. Da ist noch ein wenig Schmutz unter den schief geschnittenen Fingernägeln. Die Haut der Handfläche ist trocken und rauh, aber es haben sich keine Schwielen gebildet. Schade, dass ich nicht Handlesen kann, ich hätte zu gerne gewußt, was du in all den Jahren getan hast. Ich lege die Hand mit der Handfläche nach unten auf meine linke Hand. Daumen auf Daumen, Zeigefinger auf Zeigefinger, die Handfläche meiner rechten Hand auf den Handrücken, Mittelfinger auf Mittelfinger auf Mittelfinger. In der Mitte schauen kalt deine Fingerspitzen hervor. Habe ich dieses kraftlose Ding zwischen meinen Händen wirklich je gebraucht? Mir ekelt vor den schmutzigen Fingernägeln. Sorgfältig hole ich das Schwarze unter dem Horn hervor. Mit der zweiten Hand verfahre ich wie mit der ersten. Dann lege ich beide zu den Lidern in die Porzellanschüssel. In meinem Bauch liegt ein Stein, ein schwerer Stein, der drückt gegen die Bauchdecke. Ich hole mir das nächste Stück. Stück um Stück hol ich ihn zurück.

Das ist harte Arbeit.

Endlich aber, wenn er von seinen Fesseln befreit ist: wenn er keine Arme hat, mich von sich zu schlagen, wenn er keine Beine hat, von mir zu gehen, wenn seine lidlosen Augen auf mich geheftet sind als dem einzig Wesentlichen in seiner reduzierten Welt: wenn es nur mehr mich gibt und ihn:

hole ich mir sein Herz

Behutsam schneide ich es aus dem knöchernen Käfig, der es davon abgehalten hat, zu mir zu kommen. Vorsichtig hebe ich es aus seinem Sarg, es pulsiert vor Freude in meinen behutsamen Händen, zärtlich bette ich es zwischen meine Brüste, wo es Herz an Herz ein wenig weiter schlägt.

Rot schlägt die Frucht der Erkenntnis an meiner Brust.

Du hast mich nie geliebt. Ich war nie in deinem Herzen. Nie war Platz für mich in deinem Herzen. Aber in mir ist Platz für dein Herz. Ich werde es verschlingen und es wird mich ausfüllen von innen her, so, wie es mich nie eingeschlossen hat, werde ich es jetzt umschließen.

Erst wenn es aufgehört hat für mich zu schlagen nehme ich es zu mir, verleibe ich es mir ein, mache ich es zu einem Teil von mir. So weich und warm auf der Zunge. Niemand mehr kann mir dein Herz stehlen. Niemand.

Am nächsten Tag muß ich das Fleisch und die Innereien verarbeiten, ehe alles verdirbt. Die fertigen Gerichte bringe ich zu der wöchentlichen Ausspeisung. Der Mann ist der Ernährer der Familie. Der Mann hat seine Familie zu ernähren.

Am wichtigsten ist, dass das Zimmer so bald wie möglich aufgeräumt wird. Es soll sauber und ordentlich aussehen, wenn mein Vater mich besuchen kommt. Ich weiß nie im voraus, wann und wo ich ihn das nächste Mal treffen werde. Ich erkenne ihn immer sofort, schon von weitem. Er so leicht zu erkennen. Er trägt einen Bart.

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