Andreas Okopenko

Best of Gangan [in Print]
aus: ROTWEISSBUCH, 1988

Der Meister

 

(Heurigenlokal. Eine Sirene klingt aus.)

ALTER: Na, das is des dritte Mal. Also a Autounfall. – Geh, bring ma no a Viertel!

WIRTIN (im Bringen): Neigierig, wo s gscheppert hat. Wahrscheinlich wieder auf der Lüssn drobn.

ALTER: Aber geh, druntn auf der Kreuzung! Wißts eh, Samstag do, der junge Bursch – servas, der hat ausgschaut!

FAHRER: A Moperl?

ALTER: Aber naa, a Peugeot, a so a Mordstrumm.

MEISTER (tritt ein): Heil!

ALTER und RUNDE (Durcheinander der Stimmen und erhobenen Hände): Heil! Heil, Meister! …

MEISTER: Heil, alle miteinand!

WIRTIN (kommt hinter der Schank hervor): Wann du einikummst, da gibts immer a Unglück! (Hilft ihm aus dem Mantel.)

MEISTER (nimmt ihr den Mantel flott ab): Danke! A Viertel und was zu essen!

WIRTIN: An Alten und a Schmalzbrot –?

MEISTER (Befehlston): Speck! (Setzt sich an den Altentisch, wo man ihm sofort bereitwillig Platz gemacht hat.)

WIRTIN: Is recht, Herr Meister. (Geht wieder hinter die Schank.)

MEISTER (den Unfall kommentierend): Des san die jungen Leut, die heut alle ihr Auto haben müssen! Net nur die Buam, aa de Madln! A Frau ghört zum Herd und net ans Steuer.

ALTER: Jeder wüü schee lebn, aber nix arbeitn. Und wann ma eahna was sagt, sans frech als wia.

FAHRER: Mir ham ja aa nix ghabt. Mir? Ham in Schädl hinghaltn!

MEISTER: Drum werns ja aa alle Bankreiber! I sag immer wieder, es gschicht vü zu wenig. S ghörert aaner nachn andern aufghängt!

(Feuerwehrhorn wird in der Ferne hörbar.)

WIRTIN: Also diesmal auf der andern Seiten.

ALTER (schaut auf seine Uhr): Hat immerhin zwaa Minuten dauert.

FAHRER: Im Kriag hamma des alle Tag ghabt – aber net nur aamal.

MEISTER: Was reden denn Sie vom Kriag? Sie warn ja gar net im Kriag, hörn S!

FAHRER: I – und net im Kriag! I war Kraftfahrer an der vordersten Front. I könnt Ihna was dazön, Herr!

(Nun werden in einiger Entfernung die Folgetonhörner von Polizei und Rettung hörbar. Alles lauscht.)

WIRTIN: O je, da gibts Bluat! Neuli, am Feiertag – drei Tote auf aamal.

FAHRER: Na, und in Brunn – Der Mann hat zuagschaut, wia sei Frau ausbrennt is. Die war einzwickt – da kann ma net helfen!

ALTER: Ja … Wia damals in Baranje, im erschtn Wötkriag! Wir warn da die erschtn, die was a Auto ghabt ham – da hats mein bestn Kamerad, den Hanuschfranzl, im Auto dawischt. Der war aa eizwickt und mit der Hand hat er no gwachelt und hint hat er scho brennt.

FAHRER: I red gar net, was i alles gsehn hab. Beinah war i noch nach Stalingrad kumma. Des habts es im erschtn Wötkriag wirkli net mitgmacht!

MEISTER (empört aufschnellend): Was?? – I war nur Gfreiter – aber i hab a harte Schule mitgmacht im Kriag! Mir ham was gsehn von der Wöt! So die Wöt erleben kann ma nur im Kriag!

FAHRER (zuckt die Achseln, nimmt einen Schluck Wein): Is scho guat, is scho guat …

MEISTER: I war in Frankreich – hab dort heit no an ledigen Sohn.

FAHRER: A, da schau her! Der is da leiwand! Du hast ja gsagt, es is da so schlecht gangen? Na, hast wenigstens Alimente brandelt?

MEISTER: I? I bin do net narrisch! Aber i waaß, dass er vo mir is. – Des war a Mariandl, mit solche Tutteln …

FAHRER: I war Spieß bei de Kraftfahrer. Immer ganz vorn dran, wo s am brenzlichsten war. Beim Gegenangriff im Mittelabschnitt. Da is aner explodiert, dem sei Schädl hat no in der Luft um Hüüfe gschrian!

MEISTER: Aber Giftgas habts im Zweiten net ghabt!

FAHRER: Aber scho, in Polen!

MEISTER: Des is net wahr!

FAHRER: Na klar is wahr!

ALTER: Naa, niemals. Ka Giftgas.

(Runde sekundiert mit Gemurmel und Gesten.)

MEISTER (mit herrischer Bewegung): Wann i sag, des is net wahr, dann is net wahr!

ALTER: Mir san alte Männer, uns kannst nix dazön!

FAHRER (protestiert)

ALTER: Hast das Gas erlebt??

FAHRER: Na ja … söba dalebt net …

MEISTER: Mir hats fast a Aug gkost! Wochenlang rasende Schmerzen in so an komischen Lazarett in Po … Pa … i waaß nimmer. Können S Ihna vorstön, was des haaßt, Tag und Nacht Schmerzn habn? Im Aug! Net wissn, ob ma blind wird!

ALTER: Ja, mir warn halt no Soldaten, mir schon!

FAHRER (zornig): Ja, und mir warn Germknödln?!

MEISTER (ebenso): Geh, halt die Luft an! Junger Tutter …

(Er steht auf, um Richtung Toiletten hinauszugehen.)

FAHRER (streitmüde): Laß mi in Kraut, hörst!

MEISTER (an der Tür, huldvoll): So. Nix für ungut. Sei net angrührt! Soldaten unter uns. (Salutiert.)

FAHRER (will instinktiv salutieren, wirft dann aber die angefangene Geste angefressen weg.)

 

(Pissoir des Heurigenlokals. Der BUB des Fahrers pinkelt. MEISTER tritt ein, stößt auf dem engen Raum fast zusammen.)

MEISTER: Haltaus.

BUB (dem sofort im Schreck der Strahl versagt, will retirieren)

MEISTER: Herstellt! Weitermachen!

BUB (setzt folgsam fort)

MEISTER: Wär noch schöner! Zwei deutsche Männer haben Platz genug. (Beginnt.)

BUB: I bin a Wiener.

MEISTER (herrisch): Redst deutsch oder jidisch?

BUB: Deitsch.

MEISTER: Na, also! Heit is ja wieder alles voll von de Wanzn.

BUB (sucht): Wanzen??

MEISTER: Die Juden maan i.

BUB: I hab no kaane gsehn – (schnell:) Aber mein Vater schimpft immer auf die Tschuschn!

MEISTER: Alles dasselbe!

BUB (ist fertig, verstaut ordentlich)

MEISTER: Brav! (tut ähnliches)

BUB (will hinaus – MEISTER meldet mit Macht-Räuspern sein Vortrittsrecht an – BUB macht gehörig Platz)

 

(Im angrenzenden Waschraum.)

MEISTER: Händewaschen! (Er deutet auf das Becken, geht selbst sofort hin und wäscht sich während des folgenden Dialogs säuberlichst die Hände.) Wie alt bist denn?

BUB: Fünfzehn.

MEISTER: Fünfzehn! Was willst werden?

BUB (zuckt die Achseln)

MEISTER: Ha, wi i so jung war wie du! Weißt, was i hab werdn wolln?

BUB (schüttelt den Kopf)

MEISTER: Baumeister! Architekt!

BUB: Häuser und so?

MEISTER: Häuser?! – Alles! Brücken, Bahnhöfe, Großraumplanungen – Städte miteinander verbinden, unterirdisch! Und Opernhäuser!

BUB: Da muß ma wohl vü lernen?

MEISTER: Merk dir, Junge: Bildung is ein Dreck! Auf die ererbte Intelligenz kommts an! Die Bildung kann sich jeder anlernen, aber die Hirnsubstanz, die habn nur wir! Net die Judn, die Böhm und die Zigeuner. Nur wir!

BUB: Sie ham vü glesn?!

MEISTER: Tag und Nacht! Nix geraucht, nix getrunken! Das Fleisch verachtet – Hast was von Schopenhauer ghört?

BUB (schüttelt den Kopf)

MEISTER: Nietzsche?

BUB (schüttelt den Kopf)

MEISTER: Brav! Bist wenigstens ehrlich. (Ist nun mit dem Waschen fertig, trocknet die Hände.) Jetzt darfst du! (Fährt mit einem Finger über den Kalkanstrich:) Net amal weißeln könnens! (Ab; darein Blende.)

 

(Heurigenlokal, Türnähe. Die Tür wird aufgestoßen – allem zuvor fällt ein Stock herein. SÄUFERIN stolpert nach. Der zugleich eintretende JÄGER in voller Wichs fängt sie gerade noch auf. Er hat sein Gewehr umgehängt und einen Fasan am Galgen.)

WIRTIN: Haltaus! (Springt herbei und hebt den Stock auf)

SÄUFERIN (humpelt zur Schank, lehnt sich an und grüßt zum Altentisch): Seid mir gegrüßt, ihr edlen Ritter …

JÄGER (sein Gewehr an die türnahe Garderobe hängend, den Fasan auf einen leeren Tisch werfend): … und fahrts min Orsch durchs Fenstergitter!

ALTER und RUNDE (grüßen durcheinander, wieder mit mehr oder weniger deutlichen Arm-Erhebungen): Heil! …

JÄGER: Heil, allerseits! (Hebt die Hand, winkt aber dann)

ALTER (zur Säuferin): Na, hast heut aa scho dei Runde gmacht?

SÄUFERIN: Dir wer i des sagn!

JÄGER (zur Wirtin): Mm, da riachts aber guat! Laßt lei an Speck aus?

WIRTIN: Ja, fünfzehn Kilo. Es geht scho was weg, so alle Tag.

SÄUFERIN (zur Wirtin): I sag dirs: die Büdaausstellung im Ort – na, des muaßt gsehn habn! Na wirkli – was de heit zsammaln – des kann jeder Aff mim Schwaf. (RUNDE lacht genüßlich.) Da sieht ma wieder amol, was mit unsere Steiergöda gschicht.

JÄGER (am Fahrertisch): Derf i mi dahersetzn?

FAHRER: Aber ja, kommen S nur, Herr Nachbar.

JÄGER (setzt sich): Danke.

SÄUFERIN (bleibt beim Thema): Was des bedeuten soll, des waaß ka Mensch!

ALTER: Des wü i erst garnet verstehn! Kummt alles vo de Juden und vo de Nega. (RUNDE stimmt zu.) Hamma des braucht? Schauts eich a Büdl von Waldmüller an – oder aa a Büdl von Meister. Da sixt jede Faltn im Gwand. Da schaun de Häuser no aus wia Häuser. Alles klar und deutlich – aber die Heitigen??

(RUNDE stimmt zu.)

FAHRER: Wann mei Bua so anfangert zum maln, so Teppenbüda, i glaub, i haurat eahm de Pratzn o! (Lacht und trinkt sein Viertel aus.) (Tuschelnd:) Sagns amal, Herr Nachbar, der Meister (deutet Richtung Toilette) hat gmaln?

ALTER: Ja! Und schee sogar!

FAHRER: Geh!

ALTER: Für Farben und Formen kann er sich ereifern. Wollt ja Maler werden, wiar a jung war. Oder Baumaster oder Architekt oder …

FAHRER: Na ja, na, Maler is er do eh wordn –

SÄUFERIN: Ja – aber Zimmermaler und Tapetenpicker!

FAHRER: Frau Wirtin, bittschen zahln, ja?

(Am Toilettenausgang: MEISTER mit BUB, dem er anscheinend gerade eine Rede gehalten hat.)

MEISTER: … Also von höchster Wichtigkeit ist die Ausbildung der Willens- und Entschlußkraft – sowie die Pflege der Verantwortungsfreudigkeit.

BUB (wieder starr zuhörend)

FAHRER (tritt dazu. Zum Buben): Was hast denn du da z suchen?! Hab i da net gsagt, du sollst im Wagen bleibn?

BUB: I war ja nur …

MEISTER: Is a aufrechter Bua!

FAHRER: Bei mir gibts kane Würschtln! Mei Bua, der soll amal a anständiger, pflichtbewußter Mensch wern, gö? Also!

MEISTER: Brav! (autokratisch die Wange des Buben tätschelnd) Sixt, sowas gfallt ma!

FAHRER (zum Buben): Also kumm, gemma! Jetzt marschier, geh, geh! (Zum Meister:) Wiederschaun! (Packt den Buben unsanft, ab durch den Gartenausgang.)

MEISTER (schaut ihnen nach): Aber is leider nix dahinter. Falln um, im Ernstfall, wia die Kegeln. Is ja ka Führung heut – ka Führung –

(gekürzt)

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