Thilo Bachmann

Lit-Mag #38 – (Not) at home in Vienna

Das veränderte Stadtbild

Es ist das Jahr 2025. Filo Schwachmann, ein erfolgreicher Leiter einer bekannten Firma, ein gebürtiger Wiener fährt täglich mit dem Öffi in die Arbeit. Die ewige Parkplatzsucherei ist ihm zuwider, zeitraubend.

An diesem Tage sitzt er wie üblich in einer der U-Bahnen und beobachtet verdrießlich wie einige der Fahrgäste mit großem Interesse die frisch gekaufte Kronenzeitung lesen. „Was die Leser nur an diesem wertlosen Inhalt finden“, sagt er leise zu sich, sein Mund verzieht sich dabei verächtlich.

Er ist ein eifriger Anhänger der Boulevardzeitung Augustin und kauft regelmäßig diese Zeitung, einmal schrieb er selbst einen provokanten Artikel für den „Augustin“. Filo Schwachmann verdient gut, besitzt eine Eigentumswohnung in Hernals. Er hat sich von seiner Frau getrennt.

Da bekommt er mit der Post ein Schreiben von Kanada, und zwar ein verlockendes Angebot mit sehr gutem Gehalt. Es sind nur gute Englischkenntnisse erforderlich und eine berufliche Bindung auf 10 Jahre. Da er Englisch so gut wie seine Muttersprache beherrscht, noch nie in Kanada war und sonst ungebunden ist, nimmt er das Angebot an. Er ist etwa 34 Jahre alt, gesund und rüstig. Seine Eigentumswohnung vermietet er.

Zehn Jahr danach. Er kehrt nach Wien zurück. In einem der städtischen Busse will er eine Fahrkarte lösen, aber der Fahrer lächelt und meint: „Sie sind wohl nicht von hier, bei uns ist das Benutzen der Öffis seit 6 Jahren umsonst.“ Mr. Schwachmann sieht ihn erstaunt an, sagt aber nichts. Filo beobachtet den Autoverkehr, der ihm reichlich gering vorkommt, er kann sich noch an Autokolonnen erinnern. „Ja“, fährt der Fahrer fort zu plaudern, „ich bin froh, dass sich die Zahl der Autos in Wien um mehr als um 70% verringert hat und die Autofahrer Wien umfahren können. Seit 5 Jahren haben die Grünen in Wien das Sagen und da hat sich einiges geändert. Es gibt zwar noch die Beserlparks, aber die Umzäunungen wurden entfernt, die Türen zum Absperren während der Nacht abmontiert, kein Baum wird mehr unnütz geschlägert.“

Filo verläßt den Autobus und steigt in eine U-Bahn um, es ist die U3. Bei der Haltestelle Volkstheater nähert er sich einem Augustinverkäufer, um ihm eine Zeitung abzukaufen. Der Verkäufer kommt ihm irgendwie bekannt vor, er gibt ihm das Geld dafür und bekommt eine Ausgabe, es ist der erste Augustin seit 10 Jahren, den er jetzt durchlesen will. Er setzt sich auf einen Sitz bei der U3-Haltestelle. Er liest begierig, seine Augen weiten sich: „Ist es möglich oder brauche ich eine Brille?“ murmelt er zu sich. „Jetzt schreiben’s aber einen Schmäh. Alle Bezirksvorsteher sind Grüne. Und der jetzige Bürgermeister ist ein ehemaliger Obdachloser. Die Sozialministerin, die im Parlament große Reden schwingt, war früher, vor 10 Jahren, eine obdachlose Augustinverkäuferin.“

Filo Schwachmann schüttelt verwirrt den Kopf. Er liest weiter: „Der grüne Finanzminister lebe hoch, wir haben so niedrige Steuern wie noch nie, die Arbeitslosenrate liegt bei 0.1 %, es gibt seit 5 Jahren keinen Innenminister und demnach auch keine Fremdenpolizei mehr und keinen Fremdenhaß, denn die nicht deutschsprachigen Bewohner des Landes haben gelernt sich anzupassen und bemühen sich nicht nur um möglichst viel Deutschkenntnisse, sondern sie haben sich ein eindrucksvolles Wissen über unsere Geschichte, Literatur und Musik angeeignet.“

Er geht zu dem Augustinverkäufer zurück und fragt ihn: „Haben Sie das da schon gelesen?“

Der Verkäufer, der recht verwahrlost aussieht, sagt grimmig: „Jawohl, das habe ich und es ist alles wahr, was darin steht – oder wollen Sie sich über mich lustig machen? Es gibt nicht mehr das Wort Asylantenheim oder Asylanten, nur Heim für Schutzsuchende, Bedürftige; auch die Amtssprache ist geändert, statt Staatsanwalt, Advokat oder Rechtsanwalt sagt man Ankläger und Mundwalt. Aber wozu erzähle ich ihnen das? Können Sie nicht lesen?“

„Schon, aber das ist alles neu für mich. Ich werde mir mal die Kronenzeitung und den Kurier kaufen und bin neugierig, was die dazu schreiben.“ Der Verkäufer erwidert zähneknirschend: „Sie machen Witze. Sie wissen genau so wie ich, dass es die zwei Zeitungen schon seit 5 Jahren nimmer gibt. Ich weiß von keiner Kronenzeitung, ich kenne nur den Augustin, den ich jetzt verkaufen muß und Sie halten mich nur auf. Der Augustin hat bereits eine Riesenauflage.“ Der Verkäufer wendet sich ab.

Filo ist noch immer ungläubig und liest weiter in der Zeitung; „Ja“, schreibt ein grüner Autor, „es hat sich für immer ausgekronenzeitungt und -kuriert. Der Augustin hat vor 5 Jahren die Kronenzeitung, den Kurier und die Presse locker aus dem Felde geschlagen. Alle drei Zeitungen machten Konkurs, sie bekamen keine Aufträge und hatten keine Leser mehr.
Während der Augustin seine Auflage von 2 Millionen auf 4,5 Millionen Stück im Jahre 2015 zu erhöhen vermochte. Keine andere Zeitung konnte mit dem Augustin mithalten. Er ist in Wien die Zeitung Nr.1. Natürlich mußte der Augustin um ein Vielfaches mehr Mitarbeiter einstellen. Wir haben jetzt etwa 20 000 Verkäufer, unter ihnen eine Menge ehemaliger Politiker, Außenminister, Bürgermeister. Frühere Obdachlose sind heute Politiker, aber sie benützen die Öffis wie alle Bürger. Der Augustin wird noch lange seinen Siegeszug fortsetzen und kann zuversichtlich in die Zukunft blicken.“

Filo Schwachmann weiß jetzt woher er diesen Verkäufer kennt, er war vor vielen Jahren ein Bezirksvorsteher, den er einmal persönlich aufgesucht und gesprochen hatte. Er will ihn aber keinesfalls deswegen noch einmal anreden. Filo freut sich, dass die Wiener endlich eingesehen haben, dass die althergebrachten Zeitungen nur schädlichen Einfluß auf jeden ausüben und seine Wunschziele erreicht waren. „Jetzt lohnt es sich für mich hier zu verbleiben, das Blatt hat sich zugunsten der vormals Benachteiligten gewendet. Es lebe der Augustin!“

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