Manfred Chobot

Zeitgenössische österreichische Literatur

Zweimal Cyberglück

MEIN REICHTUM IST AUSGEBROCHEN

          Ich bin reich! Unermesslich reich, und jeden Tag werde ich reicher. Ich gewinne in den Niederlanden eine Million, in Großbritannien drei Viertel einer Million, auch in Belgien und der Slowakei rase ich die Gewinnstraße entlang oder hinauf oder hinunter, ich weiß längst nicht mehr, wie es um mich steht.
Aus Südafrika vererbt mir ein Verstorbener seine Millionen, mit denen seine kinderlose, unheilbar kranke und fast siebzigjährige Witwe nichts anzufangen weiß. God bless you! Und wie Er mich geblesst hat: ein wahres Wunder, dass die arme, vermögende Witwe mit letzter Kraft kurz vor ihrem Tod meine Mail-Adresse im Internet gefunden hat. Gäbe ja einige, die infrage kämen, weltweit ein ganzer Haufen, aber ausgerechnet mich hat die Todeskandidatin auserkoren, ihre Erbschaft zu übernehmen. Bereitwillig trete ich sie an. Da lässt sich schon mit Millionen rechnen. Im ersten Moment dachte ich gar, sie wolle mich heiraten, aber auf eine Mischehe hat sie es nicht angelegt. Ich konnte meine Überlegungen zügeln, ob ich zu ihr ziehen oder sie zu mir nach Hause übersiedeln würde. Mich abzuschleppen, darauf kam es ihr nicht an.
In Nigeria dürften sämtliche im Erdölgeschäft involvierten Manager epidemisch durch Flugzeugabstürze oder Autounfälle ums Leben kommen. Erdölmanager scheint in dieser Region ein gefährlicher, wenn nicht sogar genetisch letaler Beruf zu sein. Zumal der Rest der Manager an Krebs stirbt. Nicht ums Verrecken würde ich in Nigeria ein Flugzeug besteigen oder mich in ein Auto setzen. Jedoch vor ihrem Ableben gelang es ihnen allen, zwischen achtzehn und fünfundzwanzig Millionen auf die sichere Bankkontenseite zu schaffen. Nun liegen sie müßig herum, die Millionen, anstatt zu arbeiten, wie es sich für ein anständiges Kapital gebührt. Selbst wenn mir nicht sämtliche dieser trägen Millionen überwiesen werden, täten sich liebend gern ein paar von ihnen zu mir verirren. Leider kann ich nicht alle Unfallopfer beerben und mich womöglich mit ihren Witwen einlassen. Einige von ihnen haben unmündige Kinder hinterlassen, für die müsste ich allerdings sorgen.
Ehrlich gesagt, ist die Aufzucht von Kinder nicht mein Metier. Lieber lasse ich meine Millionen krachen. Jetzt kann ich es mir leisten, meine Ehefrau zu betrügen. Offenbar haben ein paar Mädels Wind davon bekommen, wie es um mich steht. Sie schreiben mir, dass sie es kaum erwarten können. Ein paar verfolgt der Gedanke an mein Spatzerl sogar bis in ihre unruhigen Träume. Anstatt bloß und keusch zu schlafen, bestehen Anja und Anke und Anita und Aurora darauf, mit mir au pair in der Morgendämmerung zu erwachen. Sie sind alle so was von scharf auf mich, haben mehrere Ewigkeiten vergeblich gewartet und sich für mich aufgespart. Was bleibt mir anderes übrig, als abzuheben und meine ersparten Millionen mit geilen Girls auf den Schädel (oder sonst wohin) zu hauen.
Eine Agentur liefert jegliches Alibi. „Sie springen gern – springen dann und wann auf die Seite? Kein Problem. Ihre Ehefrau muss davon nichts erfahren. Springen Sie nicht zur Seite, sondern machen Sie einen Schritt auf uns zu. Wir sind dazu da, Ihnen einen Grund zu verschaffen, worum Sie zu spät oder eine ganze Nacht nicht nach Hause kommen konnten. – Für uns kein Problem. Wir sind ein seriöses Unternehmen, Dienstleistung ist unsere Stärke. Wollen Sie ein paar entspannte Tage auf Reise verbringen? Wir beraten Sie. Auf uns können Sie bauen, Ihr Vertrauen ist unser Verschweigen.“ Die Betreuung ist ausgezeichnet, ich kann sie jedermann empfehlen. Tatsächlich ist der Stab an Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen bestens ausgebildet, ihre Kreativität sprüht vor Bereitschaft und selbstlosem Einsatz. Sie holen das letzte aus sich heraus und geben alles, was sie haben und wozu sie fähig sind. Womöglich sogar mehr. Das ist allerhand. Gewisse Spesen sind natürlich unumgänglich. Leistung muss honoriert werden!
Als wäre ich nicht schon seit langem ein professioneller Glückspilz, flattert ein Brief in meinen Postkasten, auf dem ich schwarz auf grünen Wellen lesen kann, dass ich ein Gewinn-Kandidat bin. Man zahlt mir zehn Jahre lang 500 Euro pro Monat. Was sind die biblischen Wunder gegen meine Gegenwart! „Haben Sie verstanden? Sie sind Gewinn-Kandidat! Der Erhalt ist durch Meldung zu bestätigen!“ Für eine Sofort-Pension rufe ich sogleich an. Sollen sie doch meine Melde-Daten hören: die Reg.Nr. 532768 und meine persönliche Glücks-Nr. 11028374. Die Zeit drängt. Ich bin als Gewinn-Kandidat vorgesehen. „Wie Sie aus der beiliegenden Gewinn-Kandidatur-Bestätigungs-Kopie ersehen, können Sie jetzt Ihre Gewinn-Kandidatur nur noch innerhalb einer Frist von 10 Tagen anmelden. Das hat mein Chef so entschieden. Da kann ich nichts machen“, schreibt mir persönlich der Leiter der Gewinnabteilung. „Das ist jetzt wirklich Ihre letzte Chance. Melden Sie sich bitte umgehend, damit ich meinem Chef gegenüber wieder eine weiße Weste habe und ein reines Gewissen. Mein Chef wird mich sicher morgen schon fragen, ob Sie sich endlich gemeldet haben. Dann möchte ich ihm sagen können, dass Ihre Registrierung erledigt ist. So viel Glück haben Sie nicht alle Tage!“
Schon wieder 60.000 Euro gewonnen! Mein Konto biegt sich bereits.
Inzwischen ist es wegen Überlastung gesperrt. Mir reicht es!

 

MANN DES JAHRES

          Endlich hat man meine Bedeutung erkannt und mich zum „Mann des Jahres“ gewählt!
Zwar habe ich in diesem Jahr weniger erreicht als die Jahre zuvor, hatte keinen einzigen Fernseh-Auftritt, auch die Zeitungen ignorierten mich und hüllten sich in Schweigen, was meine Person betrifft. Keine einzige Zeile war ich ihnen wert. Auch der Rundfunk war für mich nicht zu sprechen. Wenigstens hätte er berichten können, dass ich mich gut fühle. Meine Genugtuung lässt mich über mich selbst hinaus wachsen. Geschieht ihnen recht, dass sie jetzt eines Besseren belehrt wurden, wen sie permanent mit Missachtung bedacht haben. Ignoranten, wohin ich blicke!
Meine Bücher musste ich im Selbstverlag unter die Leute bringen, da in den Redaktionen weltweit leider Dummköpfe das Sagen haben. Dazu schweige ich lieber.
Nachdem mich der Brief des angesehenen Instituts erreicht hatte, habe ich mir eine Flasche Champagner vom Feinsten gekauft und mir selbst zugeprostet.
Damit meine Freunde, Verwandten und Bekannten auch wissen, mit wem sie es in Zukunft zu tun haben, ziert eine Urkunde meine Wohnung. Lange habe ich überlegt, wohin ich sie hängen sollte, bis ich zu dem Entschluss gelangte, die Urkunde über dem Esstisch in meinem Wohnzimmer anzubringen, wo man sie sogar von der Sitzbank sehen kann. Lesen kann man von dort allerdings nur meinen Namen. Ich denke, das muss genügen. Für den Rahmen habe ich blauen Samt gewählt. Roter Samt wäre mir ein wenig aufdringlich erschienen.
Die Urkunde ist überaus wertvoll! Auf Pergamentpapier mit Goldschrift ausgeführt. Samt Siegel und Unterschrift des Präsidenten sowie seines Stellvertreters. Das Siegel mit dem Band glänzt in herrlichem Rot.
Selbstverständlich war ich bereit, für diese kostbare Urkunde 1000 Euro zu bezahlen. Das bin ich mir selbst schuldig. Andernfalls würde niemand um meine Verdienste wissen. Alle unsere Zeitungen habe ich informiert, dass ich zum „Mann des Jahres“ gewählt wurde. Obwohl sie die Meldung nicht abgedruckt haben, kennen sie nun meinen Namen und wissen, was ich geworden bin. Für jene, die ich nicht zu mir nach Hause einlade, trage ich seither einen Orden an meiner Brust. 500 Euro war mir die Ehre wert. Da ich nicht ständig mit einem Orden an meinem Hemd herumlaufen mag, habe ich mir natürlich auch die Anstecknadel für 300 Euro zuschicken lassen, die mit meiner Auszeichnung verbunden ist. Sie ist sehr dezent, ich trage sie stets an meiner Krawatte. Sie ist ein geheimes Zeichen, das jeder Eingeweihte sogleich erkennt. Schließlich muss nicht jeder wissen, dass ich zum „Mann des Jahres“ gewählt wurde. Ich bin kein Politiker, kein Wissenschaftler, kein Journalist, keiner, der sich in der Öffentlichkeit in den Vordergrund drängt. Ich ziehe die distinguierte Zurückhaltung vor. Den eigenen Wert kennt man nur selbst!
Die Servietten sowie das Tischtuch mit meinem eingestickten Namen und dem international anerkannten Logo „Mann des Jahres“ habe ich nicht bestellt. Zwar wäre es mir auf die 200 Euro nicht angekommen, aber ich möchte keinen Kult um mich. Alles, was recht ist.
Meine Neider verkünden inzwischen lautstark, die Wahl zum „Mann des Jahres“ habe irgendein Computer irgendwo in Großbritannien getroffen, jedoch sind Computer keine Deppen, die nicht wüssten, worum es ginge.
Es beruhigt mich jedenfalls, dass es nicht unbemerkt geblieben ist, was ich leiste.
Glücklicherweise bin ich nicht eitel. Andere an meiner Stelle hätten vermutlich den selbsthaftenden Aufkleber für die Windschutzscheibe sowie die Spezial-Griffe mit dem Logo „Mann des Jahres“ für ihren Wagen bestellt. Da ich keinen Wagen fahre, genügt mir die geschmackvolle Klobrille mit meinem Namen. Dabei habe ich nicht lange an die hundert Euro gedacht, denn ich bin selbst Brillenträger.
Ehre, wem Ehre gebührt! Damit kann und muss ich leider leben.

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