Christiane Stenzel

Erinnerungen an Magda

An dem Tag, als er Magda kennenlernte, trug sie einen Kleiderbügel im Haar.

Es war ein leichter metallener Bügel von der Art, wie man sie erhielt, wenn man seine Kleider aus der Reinigung abholte. Dünn, biegsam und vielfältig verwendbar.

Er trohnte in ihren schwarzen, zerzausten Haaren wie ein umgekehrtes Dreieck und sah von weitem aus wie das Modell einer neumodischen Hutkollektion.

Ihr schmales spitzes Gesicht und ihre lange Nase verlängerten sich zu einem mehrdimensionalen Gebilde.

Er stand vor ihr, studierte sie wie ein Bild, betrachtete die Verlängerung der metallenen Linien, die Stimmigkeit ihrer Formen.

All die anderen schienen in ihre Stimme vertieft, die in einem lauten Schreien durch den abgedunkelten Raum hallte.

Ihr Gesicht wäre ihm nicht aufgefallen ohne jenen Kleiderbügel, dessen war er sicher. Als er sie später zufällig einmal wieder traf wirkte es seltsam formlos und blass.

Aber der Kleiderbügel machte ihn aus einem Grund, den er nicht zu nennen vermochte, betroffen und er blieb bis das Konzert vorüber war.

Die Formen ihres Kopfes – in der Verlängerung des Kleiderbügels – erinnerten ihn an die schlichten Linien Mondrianis. Genau das sagte er, als er sich nach dem Konzert zu ihr an die Bar durchgedrängelt hatte.

Sie sah ihn an, das Gesicht ausdruckslos, die Augen gleichgültig auf ihm ruhend.

„Den Künstler, mein ich.“

Wortlos drehte sie sich von ihm fort an die Bar.

Für einen Schwätzer habe sie ihn gehalten, sagte sie ihm später, für einen von diesen Intellektuellen, denen zu allem ein Zitat, eine Metapher oder so etwas einfiele.

Dabei hatte er sie bloss beeindrucken wollen, allerdings mit ihren eigenen Waffen, wie er später feststellte.

Er hielt sich den ganzen Abend über an ihrer Seite, tat als gehöre er dazu und fiel nicht weiter auf.

Alle schienen jenes Ding auf ihrem Kopf anzustarren. Sein Gesicht dahinter, umgeben vom schmalen Draht des Kleiderbügels, ging in der grotesken Anordnung des scheinbaren Hutes unter.

Tage später noch dachte er an jenen Abend zurück.

Tage, nachdem Magda ihm eine falsche Telefonnummer gegeben, er abends vergeblich in jener Bar auf sie gewartet hatte, nachts die Haight Street auf und ab gelaufen war.

Er hatte sie nie wieder so gesehen. Nie wieder so, wie in jenem Moment, als er sie das erste Mal auf der Bühne erblickt hatte.

So klar herausgelöst aus allem, was sie umgab.

Ihren Namen hatte er gewusst, weil er jemand anderen gefragt hatte. Ab dann wurde Magda das Studienobjekt langer Abende und schlafloser Nächte.

Dann gab es Magda die Traurige, die Unbeherrschte, die Gleichgültige – zu viele Namen, die sie komplex machten. Schwierig.

Namen, die den Kleiderbügel in Vergessenheit geraten liessen.

Auszug aus dem Roman Abstand, AAVAA Verlag.

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