Frank Milautzcki

Lit-Mag #38 – (Not) at home in Vienna

Drei Gedichte

Was stirbt sonntags vorzugsweise

Das Einerlei zu spreizen braucht es Keile.
Zwei Tüten Chips zercrunchen eine Sonntagslangeweile.
Was die Spiranten im Palast zermahlen,
ist mürbe ohnehin und steht in fahlen
Kinofluren aufgewühlt und übrig, konsonant.
Träume gaben sie als virenfreies Pfand.
In den Hallen sind Neurosen an Traversen angehängt,
in kleinen Dosen, eingeweckte Bildsignale,
die den Weg erklären. Wie eine Kathedrale
ist der ganze Raum mit einzelnen Gebeten vollgedrängt,
die niemand hört und selbst die Sprache nicht mehr kennen.
Sie können sich in Plüsch und Marmor heiß verrennen.
Mit Muskelspiel und Knalleffekten bläht das Zelluloid
und flammt und heil entsteigt dem Flächenbrand ein Android.
Dann tropfen müde Augenpaare zum Chillen an die Bar.
Und andre stehlen sich dorthin, wo niemals Kino war.

April 2007

Spontan und elastisch

Spontan und elastisch, eher ein Fisch als eine Laune
diese Piste Existenz, ein Hymen oder ein Pfand
der Verheißungen von Gold und Alraune,
ein Geschenk aus der Hand von pulverisierten Enzymen.
Aus der Hand in die Hand. Springt
überall hinein, in Bett und Badewannen,
in klischeegetauchte, hemmungslose, antrainierte Körperspiele
rubbeldizupp und schwuppdiwupp kürzt das ab, Zauberland
unter sonderangebotenen, plastikgrünen Weihnachtstannen,
und nagelt sich an gut zentrierte, diplomierte Lebensziele.
Macht überall geilen Sinn und Paradiese erreichbar,
es lächeln blank und weiß Momente, auch intime
und lächeln so und grinsen laut, ein jedes Lebensinselchen
starrt als  Maske der kaum traurigen Ungetüme.
Glitzernde Mache.
Überall Licht. Überall Musik.
Und ein rosiger Tanz. Und Hans spielt die Luft-
gitarre. Überall Liebesjagd mit und ohne
Knarre und der Drache
der Melancholie wie ein Fluch in den Ecken.
Im kapitalen Gewebe versteckt: Stille, die angstvoll
erlebte Pause. Und in ihr zu entdecken: eine alte
Befreiung – Melancholie, sie quillt ins Verhallte,
mit dem Druck aus dem ethischen Verdrecken.
Heimlich wissen wir weiter, nur heimlich wissen wir
weiter
was wir brauchen, was uns fehlt. Weiter!
Unverstellte Traurigkeiten, Demut, auf deren Leiter
man das einheitsgraue Ich zerquält.
Der Dreck ist so wahr wie die Erde – und Hans guckt in die Luft –
und Melancholie ihre ernste Beschwerde – am Hänschen flimmerts vorbei –
um uns im Leben den richtigen, zeitlosen Anker – und Hans nimmermehr –
mitzugeben, uns, unterwegs wie schwankende Tanker. Immermehr.

Bitter sehr.

April 2007/ 19.02.2008

Juniabend, asphaltierte Bereiche

Du glaubst du stellst fest,
aber es ist nur ein Sehen alter Kreise hier
über dem Schlieren des Anthrazits der Lagerflächen.
Es krabbelt das Denken wie ein ramponierter Käfer,
der aus den Bigbags weiß bestäubt hervorbricht, entlang
der möglichen und werdenden Kanten der Zeit und
ist eine schrammende Pinselspur im Paynesgrau des
Nichtda. Ein feiner Abendton macht Bangen zart
und über alle Himmel weit, Vogelpunkte, dunkle Simulacren
singen von grauen Betonstürzen querab in ein verebbendes
Fieber. Das nicht mehr Sagbare bin ich und krieche.
Es genügt nicht still zu sein.
Es fehlt das grüne Gras im Nacken.
Es fehlt etwas Wind, der die Mauser
begleitet. Das dumme Wort Ich ist eine Bratpfanne.
Der ramponierte Käfer huscht weg
in den Schatten, als ein metallbeschürzter Schuh
den Weg zu meiner Bank beschlürft und mich fragt
wie lange ich noch Pause mache, die Maschine sei
leer, drin in der wichtigen  Halle, und ich höre
die Tröte monoton durch das schwere Geräusche-
meer wellen und zerspellen. Ich bin schon da, sage
ich und was mimisch so aussieht wie ein
Käfergesicht im Halbdunkel
verpeilt. Etwas huscht.
Weg in den Schatten.

20.06.2008

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