Bodo Hell

Best of Gangan [in Print]
aus: ganganbuch 3, 1986

Almtagebuch

Montag, 5. August (Maria Schnee)

6°C, Morgenhimmel blank, gebe dem verletzten fünften Brandl-Kalb zum letztenmal Wasser, es hat sich den rechten hinteren Fuß gebrochen und liegt in einer Grube unterm Groipnwandl, es kommt noch auf, kann auf den drei gesunden Beinen stehen und etwas grasen, würde bis zum Herbst (Abtrieb) durchkommen, wenn auch abmagern, man müßte den Naturheiler Brandenberger verständigen, er geht gern auf die Almen, würde das Bein mit Kartonstreifen schienen, ein Pflaster mit seinen Salben auflegen und fest verbinden, wenn ein Hinterbein gebrochen ist, kann das Kalb gut aufstehen und sich niederlegen, vorne wäre es ungünstiger, Kälber unter einem Jahr sind nicht versichert (Absturz/Blitzschlag), Gerhard, Karl, Rössing Hias und Peter kommen mit Kraxen und großen Rucksäcken herauf, Hias holt mit der Axt aus und schlägt dem Kalb auf die Stirnplatte, sticht es in den Hals und läßt das Blut ausrinnen, der Kadaver wird aus der Sonne in den Schatten gezogen, die Fliegen stürzen sich auf die Blutlache, fachmännisches Aus-der-Decke-Schlagen und Zerlegen, erster Schnitt ins Fell beim hinteren Bein, dann Kopf ab, der Schlund wird mit einer Schnur abgebunden, damit der Dreck nicht austritt, dann Hals aufgeschnitten, zum Hintern durch, Lunge, Herz, Leber, Magen, Därme heraus, abgelöste Decke an den Rändern eingeschlagen und auf einen kleinen Polster zusammengelegt, der feinsäuberlich und farbenfroh (Fleckenkaiberl) im Wiesengrün liegt, Kopf, Innereien und abgeschlagene Haxen werden auf einem schrägen Schotterfeld eingesteint (dort wo das Vieh nicht grast), wenn die Körperhöhlung leer ist, wird der Schlachtkörper mit der Hacke in zwei Teile zerlegt, das Rückrat entlang, Kalbsfell hat jetzt wieder besseren Preis, aber nur Totgeburten sind haarfest, Handtücher zum Blutabtrocknen und Fliegenabwehren, die vier Viertel werden in saubere Plastiksäcke verpackt und mit den Kraxen abtransportiert, Karl, dem Akademiker, wird die schwerste Last zugeteilt
die Hauskreuzotter ist wieder da, Adi und Willi kommen nachmittags, angeblich ist eine Kalbin über den untersten Zaun beim ‚Feldl‘ hinunter, ich finde die Gruppe vollzählig bei den Hütten vor, gebe Salz, das alte Gsölln-Ehepaar ist da, der Bauer pflückt kleinblütiges Weidenröslein, das zwischen dem Fois herauswächst (Tee gegen Männerleiden), eine Föhnwalze steht über den Schladminger Tauern, auf dem Stoderzinken ist ein Startgerüst für Drachenflieger errichtet worden, der Bundesheerhubschrauber hätte das Kalb nicht als lebendes ausgeflogen, sondern nur als Kadaver (Gefahr für Trinkwasser), die jungen Häher zirpen aus den Zirben, üben das Melden, Kopf an der Tür angeschlagen

Dienstag, 6. August

6°C, Regen, Gewitter im Dauerregen, bei jedem neuen Guß wird es auch untertags sehr dunkel, 7. bis 10. August ist die beste Sprengzeit für Rehböcke, also auch für die Jagd auf sie, 6+3 Rössinger zum Weiß Wandl getrieben, die 3 Landl-Kaiberl sind ins Klammel hinaufgegangen, das Peternkalb mit dem rechten Augenfleck ist stierig, Adi und Wili gehen bei stömendem Regen ab, das Vieh, das einen weniger oft sieht (z. B. die 8 Blasbichler weit hinten in den „Suin“), führt ein geheimes Leben, kaum heizt man ein, sind die Stubenfliegen wieder aufgewacht, die Geißen sausen schnell einmal durch den strömenden Regen vom Stall zur Hüttentür, meckern erbärmlich und ziehen wieder ab, die beiden Hühner girren und picken mit dem Schnabel an die Türschwelle, Treiben von schweren Kalbinnen bei Regenwetter gefährlich (Gelände weich, Gras rutschig), „Gwahen“ = Regenfahnen, „Zaschen“ = Zirren, Zirruswolken, Robert hat mit Recht ein großes Gestänge vor der Hütte zum Trocknen der klatschnassen Wetterflecke errichtet, früher sind die Kälber zum Großfrauentag (15. August) ins Tal gebracht worden, der Wettlauf der Jäger um die Böcke hat eingesetzt, es hat nur mehr 4 °, um 6 Uhr abends ist es den Geißen zu dumm und sie gehen trotz strömenden Regens grasen, Wespennest unterm Dach, nachts Summen, die Geißen schlüpfen immer an derselben Stelle unterm Zaun durch: wo sie sich am wenigsten bücken müssen, nasser Lodenmantel riecht nach Schaf, Körperpflege vernachlässigt

Mittwoch, 7. August

2°C, Schneefall, weiß, aber nur bodenbedeckt, es schneit untertags weiter, 6 Friener kommen vom Scharschtl aufs Hüttfeld, ziehen unruhig herum, auch die anderen Kälber, sie suchen um die Hütten nach Foisblättern, die aus dem Schnee hervor schauen, im Innenraum ist es heller als sonst, Schnee rutscht platschend vom Dach, man hört bei Schnee die Viehglocken schlecht, Seidl-Kalbin 086 stierig, Kielhäusl Schafe (die Glocke hat zwei rote Ohrmarken) kommen aufs Hüttfeld, ein Möslehn-Widder ist dabei, die Hydroloin sitzt unten im Hartweger-Hütterl und entnimmt aus 6 Quellen 3x täglich Wasserproben, sie werden ins Labor nach Wien geschickt, es schneit und regnet den ganzen Tag, wilde Wasserbäche den Seegraben hinunter, am Grieshüttl hat sich eine große Lacke in der Wiese gebildet, die Kälber stehen unter Bäumen auf schneefreien Stellen, bucklig, frierend, wiederkäuend; die drei kleinen Forcher und die Pferde unauffindbar, in den Tälern Überschwemmungen, bei Taxenbach ist die Westbahn unterbrochen, sagt Robert, der Teekessel singt seinen melismatisch-meditativen Gesang, man muß ihn nach einiger Zeit vom Herd nehmen, damit wieder Ruhe eintritt, Else Wulff sagt mir ein Rezept für Schlehenschnaps an, er heißt ‚Schlehenfeuer‘

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