GANGAN Lit-Mag #50
Staub
Es ist jeden Tag ein greller Sommertag. Die Sonne ist stark, aber die Haut brennt nicht. Alle Frauen tragen schulterlose Kleider und breiten ihre Hände aus. Der Himmel ist blau, und alle Achseln sind trocken. Blonde Kinder laufen aufeinander zu, über ihren Köpfen schweben Luftballons in freundlichen Pastellfarben. Lässige Männer schieben Fahrräder mit einer Hand, sie sind Grafikdesigner. Im hellgrünen Gras liegen junge heterosexuelle Paare und essen Eis, das nie schmelzen kann. Die Umwelt ist stabil. Katzen langweilen sich in insektenbefreiten Wiesen. Es ist schrecklich angenehm, und in der Ferne gibt es immer was zu beobachten, wenn nur die Sonne nicht so blenden würde. Alle müssen stets Sonnenbrille tragen. Die Augen der übrig gebliebenen Kinder sind an den 24-Stunden-Tag schon angepasst, sie können Licht abwenden. Mitten im Innenhof steht eine grüne nagelneue Straßenbahn. Theoretisch könnte man in die Stadt fahren, aber wozu sollte man in die Stadt fahren, die Siedlung wird bald selbst Stadt werden. Niemand, den ich draußen beobachten kann, ist alt, und alle haben Zeit. Fröhlichkeit ist einprogrammiert, Toleranz ist selbstverständlich. Es gibt Gravitation, aber sie zieht einen nicht runter. Wenn die Skater einmal gesprungen sind, landen sie stundenlang nicht mehr. Eine einzelne weiße Wolke hat sich seit Tagen nicht bewegt. Einige Nachbarn sind ein wenig durchsichtig geworden. Sie sehen unfertig aus, ihre Gesichter sind reduziert. Sie nehmen die Farben der Häuser an. Die Blumen wachsen in perfekten Abständen. Es ist immer Blütezeit, und die Allergiker können die Wohnungen nicht verlassen. Gespräche sind selten, und offenbar überflüssig, Konflikte werden digital ausgetragen. Mir ist aufgefallen, dass es Leute gibt, die sich wiederholen. Diese blonde Frau in weißen Sommerhosen, die unter dem weißen Schirm sitzt und gemütlich auf ihr Handy schaut. Sie hat einen Kinderwagen dabei. Ich habe sie vorher vom anderen Fenster gesehen in der gleichen Position, in der gleichen Hose, nur bei einem anderen Gebäude. Ich entdecke sie inzwischen bei jedem Blick durchs Fenster. Manchmal kommt es mir vor, als würde die weiße Wolke ein wenig wachsen, aber vielleicht bilde ich mir das nur ein.