Egon Tenert

LANGUAGE POLICE oder: Die alten Leiden mit den jungen Wörtern

Obwohl, oder vielleicht gerade weil ich selbst Anglist bin und die englische Sprache beinahe so sehr liebe und beherrsche wie meine Muttersprache, stört mich die zunehmende Anglisierung der deutschen Sprache, speziell in den Bereichen Mode, Freizeitgestaltung, Sport und Technik. Die Breitenwirkung von Politikern, TV-Moderatoren, Werbetextern und Film-Synchronisatoren (also nicht gerade die intellektuelle Elite der Gesellschaft) ist erschreckend und läßt für die Zukunft der deutschen Sprache das Schlimmste befürchten. Jeder (auch wenn er sich schon in der MIDLIFE-CRISIS befindet) will nur noch COOL sein (obwohl das ein alter Hut aus dem Jazzer-Slang der 50er ist), um sich so im vorauseilenden Gehorsam bei den KIDS anzubiedern, mittelmäßige Veranstaltungen werden als ULTRA-GEILE MEGA-EVENTS angepriesen, wo man jede Menge FUN und ACTION (das „T“ wird dabei natürlich immer zu Unrecht ausgesprochen!) haben kann, aber auch SHOPPING in der CITY macht erst so richtig HAPPY, wenn man MEGA-PERLS (warum nicht gleich PEARLS, verdammt noch einmal?) kauft. Auch Sportreporter, die an Rennläufer Fragen stellen wie „Wann hast du REALISIERT, dass du gewonnen hast?“ oder von einer „INITIATIVEREN (aktiveren) Mannschaft“ sprechen, sind schwerlich den intelligenten Lebensformen auf diesem Planeten zuzurechnen, da sie wohl niemals ERKENNEN oder BEGREIFEN werden, dass sie durch den Gebrauch von solch schlecht eingedeutschten Wörtern aus dem Englischen (realize) kaum zu Intellektuellen, sondern nur zu traurigen Witzfiguren werden können. Auch die Meldung, ein Stürmer habe mit seinem Tor seine Mannschaft IN FRONT gebracht, ist kaum ernst zu nehmen oder nachzuvollziehen, da dies im Englischen eine völlig andere Bedeutung hat bzw. in ganz anderem Zusammenhang gebraucht wird.

Eine andere Bedrohung kommt aus dem Kabel- und Satelliten-TV, über das man in Österreich die kommerziellen deutschen Programme empfangen kann. Was Hitler und Goebbels nicht gelungen ist, schafft das Fernsehen spielend: Den kulturellen Anschluß der „Ostmark“ an das „Deutsche Reich“! Schon die diversen „Talk-Shows“ mit den zumeist geistig minderbemittelten Teilnehmern, von denen man kaum jemals einen einwandfreien deutschen Satz hört, sind schlimm genug, doch werden sie von den unzähligen Werbeunterbrechungen noch übertroffen. Jedes der dort angebotenen Lebensmittel schmeckt angeblich LECKER – als ob es die Wörter KÖSTLICH, HERRLICH, PHANTASTISCH, AUSGEZEICHNET usw. nicht gäbe! Dieses so typisch piefkinesische Attribut kann einem Österreicher doch nur den Appetit verderben, da es eher an das Götz-Zitat als an eine delikate Speise erinnert. Ich halte auch nichts VON, bei Wörtern wie DABEI, DAVON, DAZU, DAFÜR usw. die Vorsilbe DA- wegzulassen, selbst wenn sie am Anfang des Satzes schon geben sollte. Leider finden unsere nördlichen Nachbarn jedoch nichts BEI, ihre Muttersprache auf diese Weise zu verstümmeln. Überhaupt scheint man in Deutschland ein gestörtes Verhältnis zu Präpositionen zu haben, sie KRIEGEN den korrekten Umgang damit einfach nicht AUF DIE REIHE, schon gar nicht IN DEN GRIFF.

Wenn ein Deutscher angesichts eines Problems meint, „DA MACH ICH MIR KEINEN KOPF“, denke ich, dass dies auch gar nicht nötig ist; es würde schon genügen, den bereits vorhandenen Kopf bzw. das darin (hoffentlich) vorhandene Gehirn zu benutzen und sich damit wenigstens GEDANKEN ZU MACHEN; man muß sich dafür nicht einmal DEN KOPF ZERBRECHEN.

Strukturelle Anglizismen schleichen sich heimlich über schlecht synchronisierte Filme ein, in denen Sätze wie „LET’S MAKE LOVE“ als „LASS UNS LIEBE MACHEN“ übersetzt werden, was man nicht einmal einem erstsemestrigen Studenten am Dolmetsch-Institut durchgehen lassen würde. Selbst wenn die Sprecherin einen noch so KNACKIGEN Hintern haben mag, könnte einem bei einem derartigen Angebot sofort die Lust vergehen, das mich jedenfalls überhaupt nicht ANMACHT (ein Ausdruck, der übrigens eher in die Pampers-Werbung passen würde und auch eine schlechte Übersetzung von „IT TURNS ME ON“ darstellt) oder gar AUFGEILT, sondern mich eher ABTÖRNT (was für eine geniale Wortschöpfung!). Man könnte auch von der unterschiedlichen Ausdrucksweise in diesem Bereich auf Unterschiede im Paarungsverhalten der Österreicher und Deutschen schließen, da die einen in der Regel MITEINANDER schlafen, die anderen zumeist nur ZUSAMMEN, beide allerdings auch tagsüber und mit offenen Augen. Der etwas aktivere Aspekt des MITEINANDER scheint darauf hinzudeuten, dass sich in österreichischen Betten mehr tut als in deutschen. So mancher Zeitgenosse, der nicht den Mut aufbrächte, eine Frau ohne Weiteres ANZUSPRECHEN oder gar ANZUMACHEN, geniert sich jedoch nicht, bei einer Diskussion ein Thema oder ein Problem ANZUSPRECHEN, das er eigentlich nur ANSCHNEIDEN bzw. AUFGREIFEN, vielleicht sogar ANREISSEN (aber keineswegs AUFREISSEN) dürfte.

Es sollte auch WIEDER EINMAL oder NOCH EINMAL darauf hingewiesen werden, dass EINMAL MEHR schon einmal zuviel ist, da es sich nur um eine zu Unrecht vorgenommene wörtliche Übersetzung der englischen Phrase ONCE MORE handelt. Es MACHT oder vielmehr HAT für mich auch KEINEN SINN, Wortpaare aus einer Sprache ohne Selektionsbeschränkungen in die andere zu übernehmen und gemeinsam anstatt getrennt zu übersetzen. Wäre es so einfach, dann könnte ja jeder (Blech-)Trottel Übersetzer werden.

Mögen die Deutschen auch den österreichischen Dialekt belächeln, so sind wir ihnen in grammatikalischer Korrektheit und Logik doch manchmal überlegen. Während ein Deutscher nämlich zwei Stunden lang wegen Konzertkarten an der Kassa GESTANDEN HAT um dann im Konzertsaal zu sitzen, so würde ein Österreicher zwar auch sitzen, wenn er bei einer Gerichtsverhandlung GESTANDEN HAT, aber nur im Gefängnis. Ich KANN ES AUCH NICHT AB (bzw. HALTE ES NICHT AUS), wenn Modalverben gegen jede Syntax-Regel mit Präpositionen anstelle von Infinitiven gebraucht werden, meiner Meinung nach MIT DAS SCHLIMMSTE Verbrechen gegen die deutsche Sprache (oder doch vielleicht nur EINES DER SCHLIMMSTEN ?) Auch die reflexiven Verben scheinen durch diesen Einfluß im Aussterben begriffen zu sein, die Gesetze der Valenzgrammatik werden ignoriert: „ENTSPANNEN SIE!“ rät mir der Fernsehdoktor, und „ES KÜHLT AB“ oder „ES LOCKERT AM NACHMITTAG AUF“ höre ich verblüfft bei der Wettervorhersage, und ich frage mich, WAS da wohl aufgelockert wird, weil es SICH ENTSPANNEN soll. Nun, ich GEHE DAVON AUS, dass SICH DIE BEWÖLKUNG AUFLOCKERT, ich kann dies als sicher annehmen. Wird jedoch ein Politiker nach einer Prognose für die Zukunft gefragt, so GEHT er zumeist VON ETWAS AUS, das er höchstens GLAUBEN, ERWARTEN oder VERMUTEN dürfte. Wer von Dingen ausgeht, die er noch gar nicht mit Sicherheit wissen kann, darf sich nicht wundern, wenn er nie irgendwo ankommt, schon gar nicht bei den Wählern, die sich ein klares, leicht verständliches Deutsch wünschen würden! Da wir schon bei Vermutungen und Schätzungen sind: Nach den Kosten oder Erträgen einer Maßnahme gefragt, gibt so mancher Politiker oder Wirtschaftsboß an (sofern er sich überhaupt eine konkrete Antwort entlocken läßt), sie würden (IN) ETWA soundso viele Millionen SCHILLINGE (die werden vermutlich in einem riesigen Rucksack transportiert) betragen.

Wenn jemand glaubt, irgend etwas UNTER BEWEIS STELLEN zu müssen, so BEWEIST er damit nur sein Defizit an Stilgefühl. Ich mache mir auch große Sorgen um meine Muttersprache, wenn jemand verspricht, für die Durchführung einer notwendigen Maßnahme SORGE ZU TRAGEN; ich bin schon zufrieden, wenn jemand dafür SORGT, dass uns derartig aufgeblähte Formulierungen erspart bleiben, die doch nur von aufs Zeilenhonorar schielenden Schreiberlingen erfunden werden können.

Es verletzt nicht nur mein Sprachgefühl, sondern auch meinen Gerechtigkeitssinn, wenn ich hören oder lesen muß, dass wieder einmal irgendeine politische Persönlichkeit oder Institution irgendwelche Kriegsverbrechen, Terroranschläge oder Menschenrechtsverletzungen VERURTEILT hat. Es wäre viel besser, diese Greueltaten anzuprangern und die dafür Verantwortlichen zu VERURTEILEN und zu bestrafen. Solange nämlich nur die Taten und nicht die Täter VERURTEILT werden, wird sich der Zustand dieser Welt kaum bessern.

Es ÄRGERT mich auch, wenn jemand, der aus einem bestimmten Grund VERÄRGERT sein mag, von sich behauptet, er sei ÄRGERLICH. Wenn er nur wüßte, wie recht er damit hat – Wer solch ein ÄRGERLICHES Deutsch spricht, wird selbst zum ÄRGERNIS. Ebenso ärgerlich ist die in den letzten Jahren aufgetauchte Wortschöpfung „ZÖGERLICH“, die man ohne zu Zögern ausmerzen sollte — sie ist ungefähr so notwendig wie ein Kropf! Es ist auch ziemlich peinlich, wenn ein Professor, der es ja eigentlich besser wissen müßte, von einer PROFESSORISCHEN Einteilung spricht, und wohl dabei eine PROVISORISCHE meint.

Wenn ein Selbstmörder oder ein Geiselnehmer damit DROHT, sich selbst oder andere umzubringen, dann nehme ich das durchaus ernst. Lese oder höre ich jedoch, dass ein Bergsteiger abzustürzen DROHT oder dass gar ein Haus DROHT, nach einem Erdbeben einzustürzen, dann weiß ich nicht, ob ich darüber lachen oder weinen soll. Durch solche offensichtlich von Journalisten ohne Sprachgefühl und logisches Denkvermögen erfundene Floskeln droht nämlich der deutschen Sprache der Verfall ihres Stils. Meine Damen und Herren, es besteht dringender Handlungsbedarf, oder auf gut Deutsch gesagt, es muß etwas geschehen!

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