Rudolf Kraus

38 sprachminiaturen

desaster

drastik
des sarkasmus
ergo blank
als ihm zugedichtete eigenschaft
niemals deftig benannt
vonwegen
listig gescheit
zynisch oder zerrissen
klingelingeling
wie wird mir
bei all dieser ruhe


eingebläut

schlafe oder sei betrunken
schlürfe aus dem becher
der leidenschaft
oder schlucke die bittere gram
sei überall
oder bleibe niemand
dreh den schilling zweimal um


eingedeutscht

wenn dem rütmus
beziehungsweise
rytmus
die rhythmen orthographisch
abhanden kommen
wird nämliche fantasie
in dieser majonäse
ersaufen


ein morgenbild

vier uhr früh
am morgen
und nicht nachts
der stier brüllt
seinen unmut dumpf heraus
er haßt das licht
wenn’s draußen finster ist
doch ohne ihn gäb’s
das kälbchen nicht
das grund ist für das licht
das erste übrigens
in seinem leben


es wächst

der leidensdruck
mit jeder zeile
es brüllt
die lunge
kein pardon
ein silberfischchen
zwischen den rippen
der poesie


fassungslos

ich kann mich riechen
heute
schmecke wie siebzehn
kein wenig bitter
blutjunger speichel
auf trockener zunge
gar nicht brachgelegt


fleck

ein fleck
in meinem buch
den garaus werd‘
ich ihm machen
schwupp
weg ist die idee


fossil

zu stein gewordener schrei
im brustkorb meiner seele
immer wenn mein atem stockt
und der schweiß
wie wildgeworden
aus den poren schießt
hör ich ihn
im dunkeln weinen


fragezeichen

keine zeit für gesinnung
die zwänge der qual
darben dahin
der zeit nachsehen
was gestern war
einer kennt immer die antwort


gesellschaft

ich stand immer in der mitte
links die gammler
rechts die rabauken
in der mitte ist es warm
behaglich gemütlich freundlich
die am rand waren nie meine freunde
im krieg der ränder fiel ich um


gute nacht

kannst es nicht
aussprechen
gute nacht
verhaltener klang
gute nacht
sag
gute nacht
zu mir


halbe wahrheit nr. (II)

wenn es archaisch wird
in mir
und körper unüberhörbares
von sich gibt
dann nützt der ganze mythos nichts
rülpser ist rülpser
und
religion ist religion


halbe wahrheit nr. (IV)

wenn es düster wird
im herzstück meines sonnengeflechts
wenn dicke gedankenwolken
die klarheit vernebeln
dann sei der tag verdammt
der mir das atmen pries


hölle

den durst des molochs
löschten sie
mit menschenblut
das war im süden
der derart geweihte platz
verkam zu einer müllhalde
wen wundert es
dass sie ob des höllischen gestanks
nämlichen eingang vermuteten


instinkt

schwarz in mir
wär‘ gern bei dir
will raus aus mir
gedanken machen krank
schlafen tötet sanft
ich bin mein treuer killer


karriere

blues in den augen
was mich kaputt macht
kaputt mich macht
fliehen versuchen fliehen versuchen
jede minute eine neue ära
nur der moment zählt
ich bin meine gefährlichste falle
mich mich mich liebe ich
fange was du siehst


kleiner diskurs

am datenhighway
der spielwiese
des einundzwanzigsten
noch nicht einmal begonnenen
verebbte mein login
war dem spinnennetz
kapazitiv
nicht gewachsen
was soll’s
eingehauchte seelen
wandern selbstbestimmt


L. A.

die kakerlaken
diese wahren amerikaner
wunderschön gewachsen
zittern nie vor spekulanten
die stadt der engel
hat immer ein zimmer frei
braun wimmelt es am laken
sirenengeheul am linken ohr
ufer der längst ertrunkenen
leichten fußes hinein in das knistern


leichenschmaus

breitbeinig
auf den gleisen
von der geschichte
überfahren werden
bei dieser affenhitze
wird’s ein fliegenfest


makes me feel

verbrenne
mein geschlecht
brenne violett
leuchte gewaltig
niemand küsst mein gehirn
breche tiefer
sei mein


meister

meister
dumpfe ab dein yeah
einton du sprichst
halte die bilder
ratte
es ist dein
breche gehen entzwei
dich
will ich
yeah


milena

eine miniatur für mimi
sei ein starker papa
mach nicht die alten fehler
wieviel gibt die geduld noch her
wußte nichts ob versteckter reserven
doch du bist mehr als alles wert


müde

ich bin müde
ich will schlafen
bis die unendlichkeit stirbt
nach tausend jahren falschen glaubens
tritt die gewissheit empor
es gibt gab nichts zu versäumen
der moment hat immer recht


never

lachen können
und eins zwei drei
zentnerschwere tränensäcke
grabesfeuchte lust
dissonanzen schlagen krach
schon klart der nebel auf
an diesem morgen
zitterten die hände


nur die welt

ich bin die welt
ich ging zur schule
und sonst wohin
immer laute gitarren im kopf
überall machte ich die selbe erfahrung
fremd bin ich ihr du und die anderen
laute gitarren im kopf
und nichts
absolut nichts


person (dritte)

es keimt in einer mikrowelt
ein stückchen dreck
aber was
kein mensch kann es spüren


person (zweite)

kritzlerin überschreibst meine worte
meine taten übergehst
(meine daten sowieso)
suchst immerzu die entscheidung
kannst haben


person (erste)

die frage nach dem bin
sei leicht erklärt
bin der der sein möchte


rache (metaphysisch)

dein quartzenes herz
feuerteufel
das dich am leben hält
kann niemals brennen
was dein atem
entfacht
muß sein
was sein muß


rush hour

ich husche durch die zeit
bis die sentimentalität
mich einholt
fliehe aus dem mich
bis dein dumpfer bass
stählern auf mich einschlägt


scheisskerl

unverhohlen
immerzu um anerkennung
buhlend
autoritätsunfähig
ergo hörig (generell)
könig der versager
süchtig in allen windungen
ein zombie des feingefühls


secret

september
freund spätsommer
entleert sein fruchtfrivoles füllhorn
zeit des inneren aufbruchs
lass die katze im sack
die überlegenheit dieses schnurrens
sprengt mir das trommelfell


sexy

mein text ist sexy
nicht geil
keine speichelleckende metapher
text nicht bild
nur ein kleiner feuchter kniestrumpf


sie gingen

sie gingen
nachts
sie gingen
tags zuvor
zur selben zeit
gingen kamen gingen
nie blieb auch nur ein stück zurück


sososo

jeder sieht es
jede hat es bemerkt
schau nicht zurück
hör nicht auf deine ohren
schaudere nicht vor deiner furcht
zorn macht durstig
zisch
ich bin ein afrit ein weißer


statist

im dickicht der penetranz
wenn sich rauchschwaden lichten
tauche ich ein
ins gewühl der namenlosen


stop

hör zu atmen auf
hör zu atmen auf
hör zu atmen auf
für mich
jetzt


teufel

den kampf
um die blutigsten hände
hat er längst verloren
wohl weil er die feinere klinge führt
seelchen für seelchen sammelt er
eins wirft er in den styx
das andere ins feuer
des meisters geister kommen wie gerufen


Rudolf Kraus, geboren 1961 in Wiener Neustadt/NÖ, aufgewachsen in Bad Fischau-Brunn/NÖ, seit 1981 in Wien. Ausbildung zum Bibliothekar. Seit 1991 bei den Büchereien Wien tätig. Arbeitsschwerpunkte: Erzählende und nicht erzählende Prosa, Essays, lyrische Kurzformen (’sprachminiaturen‘), Reportagen und Fachliteratur. Mitarbeit bei verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Zahlreiche Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften. Einzeltitel: wort-bild. sprachminiaturen, 1983. Der Lykanthrop der Erinnerung. Prosaminiaturen, Essays und Kurzgeschichten. Aachen, 1995. Fachliteratur: Bestandscontrolling für öffentliche Büchereien. Wien, 1997. Kontakt: A 1061 Wien, Postfach 96.

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