Bernd Watzka

Exkurs: Wege zum Glück, Teil 7
„Die Lösung des Ur-Problems“

Sie treffen hier auf ein Kapitel von außerordentlicher Wichtigkeit. Die hier vermittelten Inhalte sind in der Lage, auch die unglücklichste Existenz auf den „Weg zum Glück“ zu bringen. Also beginnen wir bei der Wurzel des Übels, bei jener Wurzel, über die wir auf dem Weg zum Glück zu stolpern pflegen: dem Problem. Aber, was ist ein Problem? (Übrigens: In der Mehrzahl sind es Probleme, mit Betonung auf dem letzten „e“.)

Probleme sind der Zucker am Schweinebraten und das Salz im Kuchen, sie sind die Soletti in der Haselnusscreme und der Bierschaum im Wein — Probleme. So unterschiedlich sie auch auftreten können, sie haben viel gemeinsam, sehr viel sogar, mehr als man bisher geglaubt hat. Wenn man nämlich davon ausgeht, dass alle Probleme den gleichen Kern haben (und das stimmt, wie gesagt, und wurde auch bereits wissenschaftlich in einer interessanten Abhandlung untermauert*),

((*vgl.: Petzold, Roman senior.: Gesammelte Notizblöcke: Das Kernproblem bei Steinobst und harten Nüssen, Bd. 4, Zettel Nummer 52))

so sind diese (und somit alle) Probleme lösbar, sobald man erst einmal verstanden hat, wie die komplizierte, allgemein gültige und im Wesentlichen stets gleich bleibende Grundstruktur der Probleme aussieht — und wie man eben diese Struktur glatt bügelt und so das Problem unwiderruflich löst, ja es sogar in einen Zustand des Wohlgefallens transponiert.

Nun, beginnen wir mit unserem Experiment: Wir skizzieren die Problemstellung*,

((*Anm. des Hg.: Hier seien die beiden völlig unpassenden, aber sich geradezu obszön aufdrängenden Wortspiele „Eine Problemstellung ist für ungelenke Menschen bereits jede Stellung außerhalb der Missionarstellung“ sowie „Für noch Ungelenkigere und für alle mit chronischem Kreuzweh stellt allerdings bereits die Missionarstellung eine Problemlage dar“ erlaubt. Ha, ha. Danke.))

und die ist nicht ohne: Es geht dabei nämlich um nichts geringeres als die Lösung des Problems aller Probleme, des Problem-Problems, auch genannt: das Ur-Problem, dessen Lösung, wie oben bereits angedeutet, alle weiteren Probleme dieser Erde und dieser Menschheit im Handumdrehen erledigt. Bisher dachte man, die Lösung des Ur-Problems sei unmöglich oder zumindest so gut wie unmöglich — weit gefehlt. Denn die Lösung des berüchtigten Problem-Problems* ist „(…) ganz einfach“*

((* Vgl.: Petzold, Roman sr.: „Gesammelte lose Blätter“, Blatt Nr. 21 (leicht erkennbar, weil es zur Hälfte eingerissen ist))

und in ein paar winzigen Schritten — winzigen Schritten zurück nämlich — lösbar. Also, aufgepasst und genau hingeschaut, hier sehen Sie die typische Struktur eines Standard-Problems, das so problematisch und standardisiert ist, dass man es mit Fug und Recht als Ur-Problem (oder Problem-Problem) be- und aufzeichnen kann:

Schauen wir uns das Monstrum an. Allein schon wie es aus der Seite herausglotzt! Aber was erzähl ich da — Sie sehen das Ding ja selbst: Es ist wohl eindeutig ein richtig garstiges, abscheuliches Problem; hart, spitz, unklar, unsympathisch „bis zum geht nicht mehr“, voller Furchen, wirklich hässlich anzusehen. Schrecklich, nicht wahr? Ein echtes Problem. Richtiggehend abstoßend, oder? Es erscheint uns als etwas, das man ganz einfach nicht haben will, etwas, auf das man — ohne mit der Wimper zu zucken — verzichten könnte. Doch schauen Sie nicht gleich weg, verbergen Sie nicht die Augen vor dem Problem. Wir müssen es optisch analysieren: Es, also unser Ur-Problemchen (nein, diesmal sind ausnahmsweise nicht die Bandscheiben gemeint) hat bei genauerer Betrachtung eine überaus komplizierte Struktur und chaotische Beschaffenheit, mit der man — auf den ersten Blick — überhaupt nicht zurande kommt und die zu entwirren fast unmöglich erscheint: Eben ein handfestes Problem wie es im Buche steht. Der verschreckte Betrachter dieses übermächtigen Ur-Problems (das einem auch ohne „h“ zwischen dem „U“ und „r“ mächtig auf den Zeiger geht) fragt sich nun zurecht: Um Gottes Willen, was für ein riesengroßes Problem. Wie kann ich diese Nuss wohl knacken?

Dabei ist die Lösung dieses Ur-Problems, also des ultimativen Problem-Problems, ganz einfach. Krempeln wir die Ärmel rauf, trinken wir einen Schluck und packen wir´s an! Wir gehen dem Problem nicht aus dem Weg, sondern bleiben am Weg; es ist nur so, dass wir den Weg ein paar Schritte zurückgehen und uns das oben dargestellte Urproblem einmal aus der Ferne anschauen. Also los, gehen Sie den ersten Schritt zurück und lassen Sie sich ruhig Zeit. Wir haben´s nicht eilig. Die Dinge müssen wirken, bevor der Blitz der Erkenntnis, auch genannt der „Potzblitz“ ganz von selbst über Sie hereinbrechen wird! Es ist gleich soweit? Sie spüren schon den heißen Feuerstrahl des Verstehens und die Synapsen in ihrem Gehirn stimmen im Chor „Freude schöner Götterfunken“ an? Dann haben Sie die Lösung des Urproblems verstanden!

Was haben wir nach dem Schritt zu sehen bekommen? Es ist fast unglaublich: Das vormalige Problem hat sich verwandelt, ist es nicht so?, völlig verwandelt!

Es ist aufgrund der eingehenden Betrachtung aus der Ferne regelrecht eingegangen:

Statt eines abgrundtief abstoßenden, blatternarbigen, ja richtiggehend fratzenhaften Ur-Problems haben wir jetzt eine kleine aber feine, formschöne, beinahe runde Sache vor uns, die ihre scharfen Kanten und Spitzen verloren hat. Einfach in der Struktur, optisch ansprechend und im Besitz der gestalterischen Ausgewogenheit und formalen Harmonie einer frischgeschissenen Gemsenlosung.

Zusammenfassung: Wir haben gesehen: das Ur-Problem an sich ist keine Konstante, die Größe und Bedrohlichkeit nimmt freundlicherweise mit der Entfernung linear ab.*

((*Anm. des Autors: Etwas Ähnliches, aber genaugenommen völlig anderes, ist mir vor kurzem selbst zugestoßen. Jemand empfahl mir, in einer bestimmten Situation vor bestimmten Menschen, auf die ich jetzt nicht näher eingehen möchte, eine „Gute Figur“ zu machen. Nun gut, dachte ich mir, dann mache ich eben eine gute Figur, aber warum nicht gleich die beste Figur? Ich nahm einen Stift zur Hand, sah vor mir einen weißen Zettel liegen und machte die beste Figur, die absolut vollkommendste Figur, die man sich überhaupt vorstellen kann:

Einen Kreis. Natürlich! Ich drückte den Zettel den anwesenden hochgestellten Personen in die perfekt manikürten Finger und machte — die Fliege, verabschiedete mich auf Französisch, haute mich über die Häuser und verschwand in der Dunkelheit.))

Umgekehrt, und jetzt bitte ich kurz noch einmal um erhöhte Aufmerksamkeit, sorgt diese Größenveränderung zur Lösung des Ur-Problems oft für gehörige Verwirrung; ja man kann sogar soweit gehen und sagen, dass Größenveränderungen in die falsche Richtung — nämlich als Vergrößerungen statt Verkleinerungen — in der Lage sind, Ur-Probleme zu schaffen!

Hier zum Beispiel eine unspektakuläre, völlig gerade Küstenlinie:

„Warum sind wir Österreicher nur solche Arschlöcher?“

Ist diese Gebilde aber tatsächlich nur eine unspektakuläre, völlig gerade Küstenlinie? Sind die Dinge so, wie sie vor unseren allzu leicht in die Irre führenden Augen erscheinen? Hmm; gehen wir ein paar Zentimeter näher heran und schauen wir, ob die „unspektakuläre, gerade Küstenlinie“ bleibt, was sie vorgibt zu sein.

„Warum sind wir Österreicher nur solche Arschlöcher?“

Die Überraschung ist perfekt: Aus der unspektakulären, völlig geraden Küste wurde eine zwar weiterhin unspektakuläre, aber dafür alles andere als gerade, sondern vielmehr zackige, kantige und ganz und gar unregelmäßige Küste, die unser Vertrauen in die obige Behauptung nachhaltig erschüttert.

Doch — war das schon die ganze Wahrheit? Hmmm; gehen wir noch ein paar Zentimeter zurück (was ein paar schnöde Zentimeter alles ausmachen können!*).

((*Anm. des Hg.: Hier unterschätzt der Autor die Bedeutung von „ein paar schnöden“ Zentimetern. Ein „paar schnöde“ Zentimeter mehr oder weniger, hätten zumindest John F. Kennedy 1964 in Dallas das Leben gerettet oder so manchen missglückten Satz eines Manuskripts statt in einem Buch nur auf einer Schreibtischunterlage erscheinen lassen.))

Und, was sehen wir jetzt, jetzt, wo wir mit der Nase schon am Papier picken und den feinen Duft des Leims einatmen? Unglaublich, einfach unglaublich. Denn aus der unspektakulären Küste wurde ein Satz, ja! — ein richtiger Satz, und zwar folgender:

„Warum sind wir Österreicher nur solche Arschlöcher?“

Erstmals aufgeschrieben und 1998 mit vermutlich geschwellter Brust publiziert von Ehrendoktor Paul Handke (oder heißt der „Peter“ mit Vornamen? Keine Ahnung, ist auch Wurscht). Es handelt sich hier also um ein Gebilde, dass, zwar weiterhin unspektakulär, jedoch — bei aller Phantasie, Augenzudrücken und aufrichtigem Wohlwollen — nicht als „Küste“ durchgehen kann, als „Wüste“ vielleicht, aber niemals, niemals als Küste! Soviel zur Lösung und Schaffung des Ur-Problems.

Nachsatz: Sollte Ihr Ur-Problem einmal als Uhr-Problem in Erscheinung treten, dann wurden Sie entweder Opfer eines Tippfehlers oder Sie sollten schleunigst den nächsten Uhrmacher aufsuchen.

Dieser Exkurs ist ein ausgewähltes Kapitel des neuen satirisch-humorvollen Romans „In einem Zug“

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